Antonio
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Brief von Antonio vom 28. Mai 2005

Brief von 
Antonio vom 28.05.05


Liebe Josie, lieber Dirk,

28. Mai 2005

Wieder einmal schreibe ich als Antwort an alle, die uns geschrieben haben, einen Formbrief.
Zuerst möchte ich gerne erklären, warum diese Art von Brief der einzige Weg ist, euch zu antworten, und hier sind meine Gründe, die denen meiner Brüder ähnlich sind:
Seit drei Jahren führe ich eine Tagesbilanz über jeden Brief, den ich erhalte. So oft, ich auf die Briefe antworte, so oft schicke ich diese Tagesbilanz an meine Mutter. Ich habe mich eigentlich nie hingesetzt, um zu zählen, wie viele Briefe ich innerhalb eines Jahres erhalte, aber ich weiß, dass ich in einigen Monaten soviel wie 300 Briefe aus jedem Winkel des Planeten bekommen habe. Und es stellte sich heraus, dass meine Mutter die Mühe auf sich nahm, meine Tagesbilanzen nachzuzählen. Im Jahr 2004, fand sie heraus, erhielt ich insgesamt 2.732 Briefe. Das macht im Durchnitt 7 Briefe pro Tag, und das sollte euch eine Ahnung von der gigantischen Solidarität mit unserem Kampf vermitteln sowie von der Herausforderung, jeden der Briefe zu beantworten.
Viele Leute fragen uns, was wir hier tagsüber tun, während wir zu unrecht inhaftiert sind, und nun will ich versuchen, euch eine Vorstellung von unseren Aktivitäten zu geben. Wir sind alle Fünf verpflichtet zu arbeiten. In meinem Fall ist es so, dass ich seit zweieinhalb Jahren eine Gruppe Gefangener unterrichte, die lernen, um sich auf einen Test vorzubereiten, der, wenn sie ihn bestehen, als dem High-School-Abschluss gleichwertig gilt (er nennt sich GED-Test). Meistens unterrichte ich Mathematik, aber ich decke auch andere Fächer ab, wie Leseverständnis, Schreiben, wissenschaftliche und soziale Studien. Es gibt keinen festgelegten Lehrplan, wir Ausbildende erstellen für jeden Kurs Lehrpläne, und obwohl ich mir die größte Mühe gebe, sind die Ergebnisse minimal, hauptsächlich weil aufseiten der Schüler ein Mangel an Fassungsvermögen besteht.
Wir widmen den Rest unserer "Freizeit" dem Lesen, der Beantwortung von Briefen und uns über die Weltereignisse auf dem laufenden zu halten, dank unserer Kameraden in der kubanischen Interessenvertretung und vieler unserer Freunde, die uns jede Woche Informationspakete schicken. Darin sind neben Büchern verschiedene Zeitungen und Illustrierte enthalten. Ich persönlich habe immer ein künstlerisches Projekt in Arbeit, seien es Zeichnungen, Gedichte oder Gemälde. Eigentlich sind dies meine Hauptfreizeitbeschäftigungen, da ich selten fernsehe, außer um eine wichtige Geschichte in den Nachrichten zu verfolgen. Ich betrachte diese "Erholung" als Teil unseres Kampfes. Gelegentlich fragt mich einer der anderen Gefangenen, wie es kommt, dass ich so viel schreiben kann, und die einfachste Antwort darauf ist, dass es mir unmöglich ist, nicht auf diese wunderschönen, menschlichen und ermutigenden Botschaften zu antworten, die ich beinahe täglich erhalte. Jeder Brief ist eine Waffe in unserem Kampf für Frieden, Würde und Gerechtigkeit. Und unsere mächtigsten Kanäle sind Verstand und die Prinzipien, die uns vereinen.
Nun, ich glaube, ihr werdet jetzt ein Bisschen besser verstehen, warum eine Antwort manchmal Monate braucht und warum wir sagen, dass jeder unserer Briefe eine Botschaft von uns allen Fünfen ist.
Zum Schluss möchte ich euch noch wissen lassen, dass es uns gut geht. Wir bleiben geduldig und optimistisch, trotz der Verzögerung der Entscheidung über unsere Berufung. Unsere Standhaftigkeit wächst mit Hilfe der wachsenden Solidarität täglich. Und in unserem Wissen, dass unser heldenhaftes Volk die sozialistische Revolution weiterführt, die wir errichtet haben, sind wir gänzlich unbesiegbar. Die Menschen werden eine bessere Welt schaffen.

Handschriftlich: Danke für Euren Brief vom 9. Mai.-Eure Nachrichten geben uns große Ermutigung. Grüße an die Freunde von ¡Basta ya! Eine dicke Umarmung
!Venceremos!
gez.: Antonio Guerrero

 

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