Kein Urlaub in Havanna

Bericht von Günter Belchaus über seinen Aufenthalt in Havanna in der Zeit
vom 20. Oktober bis 14. November 2003

"He visto el programa que vas a realizar en Cuba, no tendrás tiempo para nada" (Ich habe das Programm gesehen, das Du in Kuba abwickeln wirst, Du wirst für nichts (anderes) Zeit haben), so Ismark Pérez von der Außenstelle Bonn der kubanischen Botschaft in einer E-Mail vom 14. Oktober 2003. Und so war es denn auch: Die Tage waren vollgestopft mit allen möglichen Terminen, zum Glück konnte ich mir wenigstens die drei Wochenenden, die in die Zeit meines Aufenthaltes fielen, für "meine Familie" in Cotorro freihalten und für Besuche bei und Gespräche mit Freunden, Nachbarn und Bekannten.

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Unmittelbar nach meiner Ankunft in Havanna, d.h. am Dienstag, 21. Oktober 2003, besuchte ich zunächst die Grundschule "Concepción Arenal" in der Altstadt von Havanna (Ecke Prado/Dragones), zu der ich seit Jahren Kontakt habe. Ich hatte eine Partnerschaft zwischen dieser Schule und einer Grundschule in Züschen (in der Nähe von Winterberg) begründet, die leider wegen des Desinteresses der deutschen Lehrer inzwischen "eingeschlafen" ist. Ich hingegen halte die Verbindung zu der Schule und besuche sie regelmäßig, wenn ich in Havanna bin. Das Schulgebäude ist im letzten Jahr im Zuge der allgemeinen Überholung aller Schulen in Kuba gründlichst renoviert worden. Eusebio Leal hat dafür gesorgt, daß der ursprüngliche Zustand nach Möglichkeit erhalten geblieben oder wiederhergestellt worden ist. Es sind auch neue Möbel sowohl für die Klassenräume als auch für die Büros, für den Computer-Raum, den Kindergarten, die Bibliothek, den Speisesaal u.a. angeschafft worden. Die Schule ist ein wahres Schmuckstück geworden. Es ist deshalb schwer verständlich, daß ich keine Aufnahmen machen durfte. Mir wurde gesagt, das Erziehungsministerium wünsche es nicht, weil früher mit Aufnahmen, die noch den alten Zustand der Schulen zeigten, Negativpropaganda gemacht worden sei. Dies überzeugt nicht; denn mit Fotos des heutigen Zustandes hätte bewiesen werden können, welch großen Wert die cubanische Regierung dem Erziehungswesen beimißt und mit welchem großen finanziellen Aufwand sie in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen für erfolgreiches Lehren und Lernen entscheidend verbessert hat.

Im Anschluß hieran besuchte ich die Cátedra Alexander und Wilhelm von Humboldt, mit deren Präsident Prof. Dr. Iván Muñoz ich seit Jahr und Tag befreundet bin, und ließ mir von ihm erklären, wie das vergangene Jahr seit meinem letzten Besuch im Oktober 2002 verlaufen ist, welche neuen Probleme aufgetreten sind und welche Projekte geplant werden. Zu meinem Schrecken mußte ich sehen, daß das Dach des Gebäudes, das die Cátedra beherbergt, noch immer nicht repariert ist. Regelmäßig dringt Regenwasser ein, und von der schönen Stuckdecke fallen immer mehr Teile herab. Es ist ein Wunder, daß bisher noch niemand von herabfallenden Deckenteilen getroffen und verletzt worden ist. Dem Rektor der Universität hatte ich deswegen im vergangenen Jahr geschrieben, ihn insbesondere darauf hingewiesen, daß nach Auskunft der Botschaft im Haushalt des Auswärtigen Amtes Mittel für eine Reparatur zur Verfügung stehen, daß nur sein entsprechender Antrag fehle. Dieser Brief blieb unbeantwortet, und passiert ist seitdem dann auch nichts mehr. Iván berichtete mir sodann von einem besonders interessanten Projekt, an dem er zur Zeit arbeitet: die Herausgabe des "Politischen Versuchs über die Insel Kuba" von Alexander von Humboldt, und zwar bilingual, d.h. auf der einen Seite der Text in Spanisch, auf der gegenüberliegenden in Deutsch, und alles angereichert mit historischen Darstellungen und in Gegenüberstellung mit Bildern aus heutiger Zeit. Dieses Werk soll auf CD aufgenommen und auf der Buchmesse im Februar des kommenden Jahres vorgestellt werden.

An diesem ersten Tag suchte ich schließlich das Büro des "Comité Internacional por la Justicia y Libertad para los Cinco" auf, wo mich die Koordinatorin des Komitees Graciela Ramírez Cruz mit großer Herzlichkeit und wie einen alten Freund empfing. In der Tat kennen wir einander seit langem - per E-Mail-Korrespondenz, die ihren Anfang mit der Kampagne, die fünf kubanischen Gefangenen des Imperiums aus ihrer Einzelhaft zu befreien, im März dieses Jahres nahm. Graciela schilderte mir zunächst die Zusammensetzung "ihres" Komitees. Bemerkenswert ist, daß ihm keine Kubaner angehören. Graciela selbst ist Spanierin, die lange Zeit in Argentinien gelebt hat. Die übrigen Mitglieder stammen aus Argentinien, Bolivien, Guatemala und Palästina; alle leben seit längerem in Kuba und fühlen sich mit dem Land und vor allem seiner Revolution in besonderem Maße verbunden und deshalb auch berufen, sich für die Befreiung der Fünf einzusetzen. Das Komitee arbeitet sehr eng mit der Asamblea Nacional zusammen. Bei dieser Gelegenheit wurde mir sodann in den Grundzügen schon mitgeteilt, wie mein Programm für die nächste Zeit aussehen sollte: Interviews mit "Juventud Rebelde", mit "Radio Rebelde" und mit "Granma", Treffen mit den Familienangehörigen der Fünf und mit Vertretern der Asamblea Nacional sowie mit allen Mitgliedern des kubanischen Komitees, Besuche im Außenministerium, dem ICAP und der UNJC (= Unión Nacional de Juristas de Cuba). In Aussicht genommen wurden ferner Gespräche mit Prof. Dávalos und mit dem Anwalt Roberto Gónzalez, dem Bruder von René González, die dann leider aus Termingründen doch nicht stattfinden konnten.

Für "Juventud Rebelde" interviewte mich Deisy Francis Mexidor. Ihr Artikel mit der Überschrift "Cita urgente en La Habana" (= Dringliche Verabredung in Havanna) ist am Mittwoch, 29. Oktober 2003, erschienen. Er kann im Internet unter www.jrebelde.cubaweb.cu/inocentes/2003/noticias/cita.html nachgelesen werden. Es war für mich überraschend, wie viele den Artikel gelesen hatten. Ich wurde sehr oft auf ihn angesprochen; ein Exemplar hat mein Freund Iván in seiner Cátedra aufgehängt. Ferner gab ich Arleen Rodríguez, Mitautorin des Buches "El Camaján", für "Radio Rebelde" ein Interview, das am späten Abend des Sonntags, 2. November 2003, gesendet wurde. "Radio Rebelde" kann auch in den USA empfangen werden, so daß damit gerechnet werden kann oder zumindest die Hoffnung besteht, daß das Interview auch die Fünf in ihren Gefängnissen erreicht hat. Ich selbst habe die Sendung wegen des späten Sendetermins nicht gehört, habe mir aber sagen lassen, daß sie ganz gut gewesen wäre. Auch Noam Chomsky war im übrigen in der fraglichen Sendung zu Wort gekommen. Am letzten Tag meines Aufenthaltes gab ich schließlich Arsenio Rodríguez für "Granma" ein Interview, das bisher noch nicht erschienen ist, mit dessen Abdruck ich jedoch täglich rechne.

Im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten (MINREX) wurde ich von Mara Bilbao und Déborah Azcuy in herzlicher, sehr freundschaftlicher Atmosphäre empfangen. Bei dem Gespräch ging es nicht nur um die fünf Gefangenen, um die Arbeit des deutschen Komitees und seine Bemühungen, ihre baldige Freilassung zu erreichen, sondern auch um weitere Details des für meinen Aufenthalt vorgesehenen Programms und natürlich auch um das zerrüttete Verhältnis zwischen Cuba und Deutschland bzw. der Europäischen Union nach der Entscheidung, die Beziehungen einzuschränken. Lösungsmöglichkeiten wurden nicht gesehen, auch ich konnte keine anbieten, sondern nur in Aussicht stellen, daß ich mich weiterhin bemühen werde, in meiner Partei dafür zu werben, daß wieder ein weiterführender, nicht an für Cuba unannehmbare Bedingungen geknüpfter Dialog aufgenommen wird. Dabei kam selbstverständlich auch zur Sprache, daß Deutschland seine Teilnahme an der nächsten Buchmesse abgesagt hat. Diese Entscheidung versteht in Cuba niemand. "Cuba sí" wurde in diesem Zusammenhang lobend erwähnt, und es wurde ausdrücklich dafür gedankt, daß "Cuba sí" die Initiative ergriffen hat mit dem Ziel zu erreichen, daß deutsche Verlage gleichwohl in Havanna präsent sein werden.

Im ICAP lernte ich sodann Gabriel Benítez Toledo, den Verantwortlichen für Europa, und seine Mitarbeiterin Mirtha Rodríguez Pérez kennen, die mich in der Folgezeit sehr liebevoll und engagiert betreuten, insbesondere das Treffen mit den Familienangehörigen der fünf Gefangenen und das Gespräch mit dem Präsidenten der Asamblea Nacional Ricardo Alarcón vermittelten und organisierten. - In der UNJC - Unión Nacional de Juristas de Cuba - hatte ich schließlich Gelegenheit, erste Gespräche mit kubanischen Kollegen zu führen, unter anderem mit Frau Dr. Dorys Quintana Cruz, Sekretärin der Cubanischen Gesellschaft für internationales Recht, und mit Herrn Lic. José Manuel Esquivel Navarro, dem Exekutivsekretär der UNJC, die schließlich zu der Einladung führten, am 12. und 13. November 2003 an dem V. Internationalen Kongreß der cubanischen Gesellschaft für Strafrechtswissenschaften teilzunehmen.

Eigentlich hatte ich nur gewünscht, den Vizepräsidenten der Asamblea Nacional Jaime A. Crombet Hernández-Baquero, den ich im Frühsommer in Berlin kennengelernt hatte, wiederzusehen und mit ihm über die Ereignisse der letzten Zeit zu reden. Der Präsident der Asamblea Nacional Ricardo Alarcón de Quesada wollte es sich aber nicht nehmen lassen, selbst mit mir zu reden. Das Gespräch im Gebäude der Asamblea Nacional im Municipio Playa, zu dem mich Graciela Ramírez, Mirtha Rodríguez und Gabriel Benítez begleiteten, fand in sehr angenehmer, lockerer und freundschaftlicher Atmosphäre statt und dauerte mehr als eine Stunde. Alarcón ließ sich zunächst berichten, wer das deutsche Komitee ¡Basta ya! ist, was das Komitee in der Zeit nach seiner Gründung getan hat und welche Pläne für die Zukunft bestehen. Die Mitteilung, daß wir beispielsweise inzwischen um die 7 500 Euro für eine Anzeige in der "New York Times" gesammelt haben, nahm er mit einiger Skepsis auf. Offensichtlich verspricht er sich weniger von dieser Art von Öffentlichkeitsarbeit, konnte aber schließlich davon überzeugt werden, daß es den Versuch wert ist, auf diese Weise die "Mauer des Schweigens" zu durchbrechen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich auch über die Schwierigkeiten berichten, die wir in dieser Hinsicht in Deutschland haben. Er legte sodann im einzelnen dar, wie er den Fall der Fünf sieht und wie er die Perspektiven des derzeit laufenden Revisionsverfahrens beurteilt. Ich hatte den Eindruck, er rechne nicht mit einer baldigen Freilassung der fünf Gefangenen. Auf das Thema der Abkühlung des Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und Cuba mochte er sich nicht einlassen, obwohl ich einige Male versuchte, das Gespräch auch hierauf zu lenken. Alarcón gab schließlich zu verstehen, daß er das Gespräch mit mir gerne an einem anderen Tag fortsetzen wollte. Hierzu kam es dann aber nicht mehr.

Günter und Mirtha

Der Autor und Mirtha Rodríguez, die Mutter von Antonio
Das Treffen mit den Ehefrauen und Müttern der fünf Gefangenen fand dann erst verhältnismäßig spät statt. Organisatorische Gründe hatten einem früheren Termin im Wege gestanden. Wir kamen im Hauptgebäude des ICAP zusammen; vom ICAP waren anwesend Mirtha Rodríguez und Gabriel Benítez, für das cubanische Komitee Graciela Ramírez. Später kamen zu einer kurzen Begrüßung auch noch der Präsident des ICAP Sergio Corrieri Hernández und der Vizepräsident Ricardo Rodríguez González hinzu. Es war fast wie auf einer Familienfeier. Magaly Llort und Adriana Pérez, die ich in diesem Jahr in Deutschland persönlich kennengelernt hatte, begrüßten mich besonders herzlich, aber auch die anderen Familienmitglieder behandelten mich wie einen langjährigen Freund der Familie. Man kennt einander, wenn auch bis dahin eher durch die Korrespondenz im Zusammenhang mit der Isolierung der Fünf im März dieses Jahres oder die Bemühungen, die US-Behörden zur Erteilung von Visa für Adriana Pérez und für Olga Salanueva sowie ihre Tochter Ivette zu bewegen. Auch hier berichtete ich über die vielfältigen Aktivitäten des deutschen Komitees ¡Basta ya! und erntete viel Lob und Anerkennung. Mit großer Freude wurde hier die Mitteilung aufgenommen, daß in Deutschland bereits ein namhafter Betrag für den Kauf einer Seite in der "New York Times" eingeworben ist. Besonders gefreut habe ich mich über die erstmalige Begegnung mit der Frau meines "Brieffreundes" Fernando González, Rosa Aurora Freijanes Coca. Die Mutter von Antonio Guerrero, Mirtha Guerrero, konnte an diesem Tage nicht teilnehmen; ich habe sie aber eine Wocher später im Hause meines Freundes Ramón Ripoll getroffen. Ripoll und seine Mutter, die eine frühere Arbeitskollegin von Magaly Llort ist (auch Havanna ist letztlich nur ein größeres Dorf), hatten zu einem Treffen in kleinerem Kreis zu sich in ihr Haus in San Miguel del Patrón eingeladen.

Günter und Magaly

Der Autor und Magaly Llort, die Mutter von Fernando
Die letzten beiden Tage meines Urlaubs in Havanna, der keiner war, jedenfalls kein Erholungsurlaub, verbrachte ich auf Einladung der UNJC auf dem V. Internationalen Kongreß der kubanischen Gesellschaft für Strafrechtswissenschaften, der im Hotel Riviera stattfand. An dem für mich am interessantesten Punkt der Tagesordnung, nämlich der "Zusammenkunft zu dem Strafprozeß gegen die 5 heldenhaften Gefangenen des Imperiums" (Donnerstag, 13. November 2003, ab 17 Uhr) konnte ich leider nicht mehr teilnehmen, weil ich zur gleichen Zeit in der Cátedra Humboldt erwartet wurde; vorher, ab 15 Uhr, wartete im ICAP Arsenio Rodríguez zu dem oben erwähnten Interview auf mich und für 16 Uhr war ich mit Déborah Azcuy im CPI (Centro de Prensa Internacional) verabredet Meiner Anregung, diesen Programmpunkt auf den Vormittag vorzuziehen, konnte aus organisatorischen Gründen nicht entsprochen werden.

In der Mittagspause dieses Donnerstags hatte ich jedoch Gelegenheit, mit Professor Erik Luna (USA) ausführlich über den aktuellen Stand des Verfahrens gegen die Fünf und den mutmaßlichen Ausgang des Rechtsmittelsverfahrens vor dem Gericht in Atlanta zu reden. Prof. Luna ist verantwortlich für den "Brief Amicus Curiae of Sociedad de Ciencias Penales in Support of Appellants" vom 9. April 2003, mit dem das Gericht in Atlanta vor allem über die lang andauernden terroristischen Angriffe gegen Cuba, die in den USA geplant und von dort aus verübt worden sind, aufgeklärt werden sollte (dieser "Amicus Curiae" ist zwar von dem Gericht nicht angenommen worden, sein Inhalt ist jedoch in die Schriftsätze der Verteidiger eingegangen). Prof. Luna geht von folgenden möglichen Prozeßausgängen aus:

1. Das Rechtsmittelgericht in Atlanta bestätigt das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang, was indessen wegen der vielen offensichtlichen Fehler dieses Urteils unwahrscheinlich sei.

2. Das Gericht hebt das erstinstanzliche Urteil als rechtsfehlerhaft auf und verweist das Verfahren zur erneuten Verhandlung an ein Gericht erster Instanz zurück. Das wird hoffentlich ein anderes Gericht als das im südlichen Distrikt von Florida sein; auszuschließen ist jedoch nicht, daß die neue Verhandlung doch wieder in Miami stattfindet.

3. Das Gericht hebt das erstinstanzliche Urteil auf und spricht die Angeklagten frei. Das sei aber sehr unwahrscheinlich, da das Gericht in Atlanta als ausgesprochen konservativ bekannt sei.

Alles in allem kann hiernach mit einem schnellen Abschluß des Verfahrens noch im Verlauf etwa der ersten Hälfte des kommenden Jahres nur bei einer sehr optimistischen Beurteilung der Lage gerechnet werden. Zu berücksichtigen sei ferner, so Prof. Luna, daß beiden Seiten - der Staatsanwaltschaft und den Angeklagten - je nach Ausgang des Verfahrens auch noch der Rechtsweg zum Obersten Gericht offenstehe. Wie langwierig das Verfahren sein kann und wieviel Verzögerungsmöglichkeiten es nach US-Recht gibt, hat der Fall des kleinen Elián gezeigt.

Der Verteidiger von Antonio Guerrero, Rechtsanwalt Leonard Weinglass, war übrigens zu einem Kurzbesuch nach Havanna gekommen (s. seine Erklärung vom 13. November 2003, in www.antiterroristas.cu). Ich habe davon bedauerlicherweise erst nach seiner Abreise erfahren.

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Außerhalb des mir von Graciela Ramírez, dem ICAP und dem MINREX "verordneten" Programms konnte ich dann noch sozusagen auf eigene Faust folgendes unternehmen:

1. Besuch bei Miguel Barnet in dessen Fundación Fernando Ortiz. Auf meinen Tadel, er habe meinen Brief nicht beantwortet, in dem ich mich gegen die Anwendung der Todesstrafe ausgesprochen hatte, reagierte er zunächst unwirsch, erklärte mir dann aber doch, welche Gründe die kubanische Justiz und die kubanischen Behörden zu dieser drastischen Maßnahme veranlaßt hatten, und beruhigte mich mit dem Hinweis, daß inzwischen eine Kommission des kubanischen Parlaments das Thema mit dem Ziel der Abschaffung dieser Strafart behandle. Weiteres Thema war die Reduzierung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba und hier insbesondere die Absage, an der nächsten Buchmesse teilzunehmen. Wir waren uns in der Beurteilung einig, daß die Entscheidung der deutschen Regierung nicht nachvollziehbar sei. Bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, daß Barnet das Bundesverdienstkreuz erhalten soll. Er werde es sich demnächst in der deutschen Botschaft abholen. Er werde allein dort hingehen; sein (Kultur-)Minister werde ihn sicherlich nicht begleiten. Seit der Einladung von "Dissidenten" in die deutsche Botschaft aus Anlaß des Tages der deutschen Einheit werde die Botschaft von cubanischen Funktionären gemieden.

2. Besuch im Ministerium für ausländische Investitionen und Entwicklungshilfe (MINVEC) auf Einladung von Ramón Ripoll, der dort jetzt als Vizeminister tätig ist. Wir sprachen vor allem über die Ereignisse in Cuba in den Monaten März und April und das deutsch-cubanische Verhältnis nach der Entscheidung der Europäischen Union, die Beziehungen zu Cuba einzuschränken, selbstverständlich auch über die für uns beide unverständliche Entscheidung des Auswärtigen Amtes, die Teilnahme Deutschlands an der nächsten Buchmesse in Havanna abzusagen.

3. Teilnahme an einer Ausstellungseröffnung im Rahmen der 8. Kunstbiennale in Havanna in der "Casa Humboldt" (am Freitag, 1. November 2003) und Besuch einer Ausstellung auf dem Gelände der Festungen "El Morro/La Cabaña" auf Einladung von Herrn Dietmar Geisendorf (Deutsche Botschaft in Havana) mit anschließendem gemeinsamen Mittagessen; einige der deutschen Künstler waren anwesend.

4. Besuch in der deutschen Botschaft. Von Herrn Geisendorf konnte ich mich in einem längerem Gespräch über den derzeitigen Stand der deutsch-cubanischen Beziehungen aus der Sicht der Botschaft unterrichten lassen. Natürlich spielte auch hierbei die Absage, an der Buchmesse teilzunehmen, eine erhebliche Rolle. Ein Annäherung der gegenseitigen Standpunkte konnte nicht erzielt werden. Erwähnung fand auch, daß mit der Einschränkung der kulturellen Beziehungen das vor allem aus deutscher Sicht erwünschte und nachdrücklich geforderte und geförderte Projekt, in Havanna ein Goethe-Institut zu errichten, auf unabsehbare Zeit auf Eis gelegt sei. Hierzu konnte ich nur sagen, daß mit dieser mißlichen Konsequenz in Berlin hätte gerechnet werden können. Schließlich wurde auch der Fall der Abgeordneten Claudia Roth angesprochen, die von den cubanischen Behörden kein Visum erhalten hatte. Ich habe hierzu erklärt, daß ich für die Entscheidung der cubanischen Behörden Verständnis hätte, vor allem auch deswegen, weil der Besuch von Frau Roth offensichtlich dazu habe dienen sollen, ihr die Begrüßung cubanischer "Dissidenten" am Tag der deutschen Einheit zu ermöglichen. Ich habe in diesem Zusammenhang auch deutlich gemacht, daß ich auch schon die Einladung von "Dissidenten" zu Nationalfeiertagen als unnötige, ungehörige Provokation gegenüber Cuba ablehne.

5. Schließlich habe ich in der Cátedra Humboldt im Rahmen des "Sprachcafé" einen Vortrag über "Die 5 cubanischen Patrioten und die Mauer des Schweigens" gehalten, zu dem erfreulich viele Zuhörer gekommen waren. Das "Sprachcafé" ist ein Jour Fixe, der jeden Donnerstag in der Cátedra stattfindet und bei dem sich Angehörige der Deutsch sprechenden Länder Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Deutsch sprechende Cubaner in lockerem, ungezwungenen Rahmen zum Gedankenaustausch und auch zum gemeinsamen Feiern zusammenfinden und der in der Regel durch einen kleinen Vortrag eingeleitet wird. Ich hatte meinen Vortrag auch in der Hoffnung angenommen, möglichst viele Deutsche, Österreicher und Schweizer ansprechen zu können, damit diese dann nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer den Fall der Fünf bekannt machen würden. Leider waren ausgerechnet an diesem Tag fast nur Cubaner zugegen. Aber auch sie waren zufrieden, vor allem deshalb, weil ich ihnen einiges über die Aktivitäten mitteilen konnte, die in Deutschland zur Befreiung der Fünf unternommen werden.

Kirchhundem, den 21. November 2003

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