Gerardo Hernández

Von der Liebe, dem Warten und anderen Hoffnungen

Für Adriana blieb das Leben an dem Tag stehen, an dem sie ihr die Verhaftung von Gerardo mitteilten. Drei Jahre später ging es wieder weiter, als sie 12 Minuten lang mit ihrem Mann telephonierte, einem der Fünf cubanischen antiterroristischen Patrioten, die in US-amerikanischen Haftanstalten gefangen gehalten werden.
Die Regierung der Vereinigten Staaten erteilt ihr kein Visum, mit dem sie ihn im Gefängnis besuchen könnte.

(Bildunterschrift auf Seite 14 der Bohemia:
Jeden Tag mit einem Lächeln auf Gerardo warten ist eine Herausforderung, die Adriana nie ablehnt.)

von Gilda Fariñas Rodríguez

Der Morgen war kaum angebrochen, als Adriana und Gerardo Blicke wechselten, Umarmungen und Küsse austauschten für eine sehr lange Zeit [der Trennung]. So lang, wie sie sich nicht einmal vorstellen konnten.
Jenes Ritual des Abschieds war - nach vielen Jahren - auch eine Art, sich zu lieben. Weniger von ihnen akzeptiert - das ist klar -, aber "wir sind Jugendliche und haben alle Zeit des Lebens, um zusammen zu sein", wiederholen sie bei jedem Abschied.
Gerardo kehrte ins Ausland zurück nach einigen Monaten Urlaub mit der Familie. So geschah es, seit sie 1988 geheiratet hatten. "Einen Tag vor unserem ersten Hochzeitstag fuhr er nach Angola", erinnert sich Adriana. "12 Monate später kehrte er zurück und 1994 verließ er Cuba erneut."
Jener Novembermorgen 1997, das Auto hielt noch einmal an. Tränen, Hände wie Lippen, Blicke wie Arme, ein zitterndes: Adios", das Herz schmerzt ...
"In der seiner Abreise vorangegangen Nacht weinten wir beide viel, es schmerzte uns, uns zu trennen, nachdem wir so gute Ferien verbracht hatten. Außerdem fühlten wir eine seltene Beklemmung, die wir aber nicht genauer erfassen konnten", sagt Adriana, und ihr großen schwarzen Augen ruhen auf einem Photo, auf dem er sie an seine Brust zieht.

Erinnerungen, die zu leben helfen

Nicht einmal die Stöße der Drängler in der Linie 32, stören die Arbeit des Bogenschützen, den die Existenz der Beiden fesselt. Sie, Chemie-Studentin, und er, vom Institut für Internationale Beziehungen des MINREX (Ministerio para Relaciones Extranjeras - das cubanische Ministerium für Auslandsbeziehungen - Anm. d. Übers.).
Nach mehreren Wochen der Beharrlichkeit eines jungen Mannes: der Komplimente, Gedichte, nach Geständnisse im Theater und in Parks, überzeugte sich Adriana endlich davon, daß die Liebe echt ist, wovon sie 16 Jahre geträumt hatte. Von da an: "hatten wir ein sehr leidenschaftliches und schöpferisches Verhältnis. Selbstverständlich mit seinen Höhen und Tiefen, aber die Höhen überwogen immer. Dazu gehört, daß wir uns oft vornahmen, uns an die schlechten Momente zu erinnern, was wir nie schafften.
Mich beeindruckte seine starke Männlichkeit und manchmal seine Zartheit mir gegenüber. Seine sehr gepflegten Hände gefielen mir sehr, seine Stimme ... Ich analysierte mein Leben zusammen mit Gerardo und empfand eine Leidenschaft für den guten Mann, die mich durch die unermeßliche und unbegrenzte Liebe, die er mir immer entgegenbrachte, anrührte. Diese Gründe reichten aus, um immer an seiner Seite zu sein, ohne Schwanken."
Der lange Flur ist voll mit vielen verschiedenen Arten von Pflanzen. In Blumentöpfe auf den Fußboden gestellt oder an der Decke hängend, Orchideen, Farne, ... (Platicerios ?), krautartige Pflanzen, ... eskortieren den Weg zur Wohnung von Adriana. "Von jedem Ort, den wir aufsuchten, haben Gera und ich uns diese mitgebracht und gemeinsam eingepflanzt. Es war eine Möglichkeit, uns ein Stückchen von dem Ort mitzunehmen, an dem wir gewesen sind."
In dem gemütlichen Apartement scheinen Photos, Bücher und Erinnerungen an Gerardo von jedem Blickwinkel aus gefangenzunehmen. Den Tisch bedecken verschiedene Briefe von ihm und von anderen, denen seine Frau scheibt, als wir ankommen.
"Seine Gegenwart ist unentbehrlich für mich. Wir schlafen nicht zusammen, aber wir sind immer vereint. Ich fühle es, wenn ich durch dieses Haus gehe, wie er sich in der Küche einmischt und mich umarmt, während ich etwas zum Essen vorbereite. Weil wir uns entschieden, ein Paar zu sein, haben wir die Beziehung immer mit hoher Intensität gelebt, als ob jeder Tag der letzte wäre. Vielleicht erinnern wir uns aus eben diesem Bedürfnis heraus an jeden Moment, auch dann noch, wenn wir getrennt sind.
Die Kinder ... ? Klar, daß wir nicht ohne Kinder bleiben wollen. Sie sind eine Erweiterung der Liebe und ein Segen, den nicht alle erhalten. Sicher, wir verbrachten viele Jahre getrennt von einander (ein Jahrzehnt) und im entgegengesetzten Fall wären diese Kinder durch dieses Bedürfnis, die Liebe auszudehnen, gekommen. Gut, jetzt ist für uns der Mangel an Kindern keine Frustration.
Als Gera zum ersten Mal verreiste, dachte ich, daß es für eine kurze Zeit sei. Mit der Zeit half mir seine Abwesenheit, zu bemerken, daß es egoistisch von mir wäre, darauf zu verzichten, daß er am Wachsen und der Erziehung seines Kindes teilnähme. Wir vereinbarten, bis zu seiner endguültigen Rückkehr zu warten. Trotzdem begann die Zeit, uns Grenzen zu setzen; die Jahre sind schon entscheidend und stellen ein Problem für die Schwangerschaft dar. Selbstverständlich ist es die biologische Uhr, die innerhalb dieser Grenzen unübersehbare Zeichen gibt."

Die Zeit und die Abwesenheit

Zwei große Tassen frisch gebrühten Kaffees kommen wie ein Elixier der Götter am Havannaer Nachmittag. Das Getöse von Kindern einer Grundschule steigt zuweilen im Ton an und dringt durchs Fenster des Flures, wo uns Adriana empfängt: ein kleiner Innenhof, "gestaltet, damit Gera sich wohl und sehr ruhig fühlt."
Nach dem Kaffee sprechen wir weiter von Gerardo, der viel eifersüchtiger sei als sie, obwohl sie weder Mißtrauen empfanden noch der Gedanke vorhanden war, ihrer beider Liebe könnte an Umfang verlieren. Sie erinnert sich, daß - als ihr Ehemann ihr etwas kaufte - er das richtige Augenmaß dafür besaß, die Größe, die Farbe, den Geschmack und die richtige Gelegenheit, es einzusetzen. "Wir lernten die kleinsten Freuden und Launen voneinander kennen. Wenn sie ihn fragte, welches Essen er bevorzuge, sagte er immer: ‚das, was Adriana kocht.'
Wir machten die ganze Zeit über Pläne für unser zukünftiges Leben. Wir sprachen von seiner Rückkehr (weil nur er auf Reisen war), und daß wir uns nicht eine Sekunde voneinander loslösen wollten. Er hörte nicht auf, laut zu scherzen oder Witze zu machen, als ob sich für uns nichts ändern könnte.
Wenn Dir das Leben eine Zeit des Alleinseins beschert, analysierst Du, ob Du alles getan hast. Und sicher könnte ich, weil ich eine junge Frau bin, diese ganze Situation ablehnen. Vielleicht wäre es das Einfachste angesichts der Gewißheit an der Seite eines Mannes, der zu zwei Mal Lebenslänglich und 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Aber unsere Wirklichkeit ist für mich eine andere, und in ihr hat die Trennung keinen Platz."
Adriana zieht den Ehemann bei allem, was sie macht, zu Rate und berät ihn, bis dahin, daß sie ihm vorschlägt, welche Kleidung für eine bestimmte Gelegenheit besser paßt. So kommt es, daß sie es während der durch das Telephon vom Gefängnis abgerungenen Minuten schaffen, sich mit den Einzelheiten eines normalen Zusammenlebens beschäftigen.
"Dies ist eine Möglichkeit, diese so schwierige Beziehung dynamisch zu gestalten. Er ist ein Mann, der der Traurigkeit keine Chance gibt, und obwohl er beim Fällen von Entscheidungen sehr ernst ist und sich jeglicher Situation stellt, nimmt er das Leben mit viel Freude auf sich. Immer übermittelt er mir viel Kraft zum Weitermachen.
Ich sehne mich danach, daß er hier wäre, um unsere Freunde zu besuchen, ins Theater zu gehen, an den Strand zu gehen, tanzen zu gehen (obwohl wir keine guten Tänzer sind), durch die Straßen Havannas zu spazieren, Silvio zu hören oder Gedichte von Benedetti, Nogueras, Gómez Garcia und Fernández Retamar zu lesen."
Sie lächelt, wenn sie sich an die Spitznamen erinnert, mit denen Gerardo sie für gewöhnlich rief. "Einige Male nannte er mich ‚Gieskannen-Nase', weil ich viel schwitzte. Und andere Male ‚Bonsai'."
Ich denke seitdem an die Blumen - die er unter dem Kopfkissen zu lassen pflegte, - an die Gespräche, die sich bis spät in den Morgen ausdehnten, und an die an jeder Stelle der Wohnung hinterlassenen Nachrichten.

Die Liebe vor dem Heldentum

Um es mit den Worten von José Martí zu sagen: "Die pompösen Worte sind unnötig, um über erhabene Männer zu sprechen". Vielleicht durch eben diese Prämisse zieht Adriana es vor, ihn sich mehr als Mann in Erinnerung zu rufen, den sie seit 16 Jahren liebt und daß ihr nur das Wort LIEBE reicht, um das zu erklären.
"Selbstverständlich verliebte ich mich nicht in einen Helden, sondern in diesen Mann mit Fehlern und Tugenden, der sich irrt, oder weint beim Verlust eines Freundes. Und daß er - abgesehen davon , daß er mich so liebte - es ablehnte, mit mir zu leben, nur um dort sein zu können, wo er am meisten gebraucht würde.
Ich darf es außerdem nicht vergessen, die ausgezeichneten Eigenschaften der Verbindung seiner Eltern zu erwähnen: die Güte, die Ehre und Süße seiner Mama. Der starke Charakter und die Prinzipien seines Vaters; dann, wenn er eine Entscheidung zu treffen hat, ist er ein Mann, bedenkt er sorgfältig alles, was er tut."

(Bildinschrift S. 15 der Bohemia:
Jede Gelegenheit oder jeder Ort gelangen wie ein Ring zum Finger für Gerardo, um seinen Spaßogel-Charakter
zu zeigen.)

Bildüberschrift S. 16 links oben der Bohemia:
Obwohl die US-Behörden dem Paar die Möglichkeit rauben, sich zu sehen, können sie das Wachsen der Kraft,
des Vertrauens und der Liebe nicht verhindern.)

"In der Tat, nie habe ich gezweifelt an seinen Entschlüssen; vor allem, weil sie in sehr starken Empfindungen fußen. Deshalb darf mein Opfer nicht unter dem seinen sein (weniger, geringer, kleiner als sein Opfer - Anm. d. Übers.). Zusammen haben wir auch andere, sehr traurige Momente erlebt: den Tod seines Vaters, den seiner älteren Schwester und den seines besten Freundes in Mexico."
Sie nennt so unglückliche Momente wie an jenem Tag, an dem Adriana die Nachricht erhielt. "Ich war arbeiten, als sie kamen, um mir mitzuteilen, was geschehen war. Ich erinnere mich daran als einen sehr heftigen Augenblick", sagt sie und ihr Blick wird feucht und in die Ferne gerichtet.
"Als sie mich über die Inhaftierung von Gerardo informierten, blieb ich unbeweglich. Mehrere Sekunden danach bemerkte ich, daß ich nicht einmal geatmet hatte. Das Leben war für mich wie völlig erstarrt in jenen Minuten. Was ich dann erlebte, wurde grausig. Ich wußte nur, daß er lebte und 17 Monate in dem berüchtigten Loch verbracht hatte, isoliert von der äußeren Welt.
So staunte ich viel mehr über meinen Gerardo, seine Tapferkeit und Festigkeit, bewunderte den Cubaner, der seinem Land und seinen Idealen die Treue hielt, ohne etwas von seiner Familie zu wissen oder ob er mit dem Leben davonkommt."
Mit solch schrecklicher Ungewißheit lebte Adriana drei Jahre lang. "Das erste Mal, als wir (wieder - d. Übers.) miteinander sprachen, nach dieser langandauernden Stille, war unbeschreiblich. Es war am 30. 12. 2000, und ich erinnere mich, daß ich mich nicht auf den Beinen halten konnte, weil mein ganzer Körper zitterte.
In den 12 Minuten, die die Unterhaltung dauerte, gab es keine Zeit für Tränen. Er fragte nach allen Verwandten und Freunden. Seine Stimme war dieselbe, wie ich sie Jahre zuvor gehört hatte, so klangen auch seine Liebe und seine Zärtlichkeit. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, drang eine unkontrollierbare Kälte in mich ein, und das Zittern von vorher verstärkte sich. In seinem Tagebuch beschreibt René, daß Gerardo nach dem Auflegen des Telephonhörers herumsprang und schrie bis zu seiner Zelle, er konnte seine Gefühle auch nicht mehr kontrollieren.
Heute sind die einzigenKontaktmöglichkeiten, die wir aufrechterhalten (können - d. Übers.), die Briefe und Telephonanrufe, die sie ihm im Gefängnis erlauben.

(Bildinschrift S. 16 rechts unten der Bohemia:
Die Mehrzahl dieser Pflanzen waren durch die Hand von Gerardo und Adriana gepflanzt worden. Sie pflegt sie
mit der gleichen Aufmerksamkeit, mit der sie die Liebe der beiden schützt.)

Und die er nutzen soll, um sich nicht nur mit seinen Verwandten zu unterhalten, sondern auch mit seinen Anwälten und cubanischen Funktionären der diplomatischen Vertretung in den Vereinigten Staaten."

Sie können es nicht verhindern ...

Die Regierung der Vereinigten Staaten erlaubt die Besuche von Adriana bei Gerardo nicht, weil diese Frau ihrer Aussage: "Eine Gefahr für die Sicherheit des Landes", ist. Die ungerechte Strafe gegen den jungen Cubaner scheint ihnen nicht auszureichen, so daß ihnen außerdem noch diese dumme Idee kam.
2002 erhielt Adriana ein Visum zur Einreise in die Vereinigten Staaten zum Zwecke eines Besuches ihres Ehemannes. Trotzdem wurde sie durch das FBI einer intensiven, scheinbaren Routinebefragung unterzogen, als sie das US-Territorium betrat.
Nach elf Stunden Aufenthalt auf dem Flughafen befahlen sie ihr ohne weitere Erklärungen, nach Cuba zurückzukehren, ohne sie mit Gerardo sprechen zu lassen. Seitdem hat sie weiter versucht, ein Visum zu beantragen, was jene jedoch immer wieder ablehnten.
"Selbstverständlich berührt uns dieses Verbot. Es gibt Dinge, die wir nicht am Telephon besprechen, analysieren oder entscheiden können. Auch wenn es Gerardo nicht gefällt, Worte wie, 'verlorene Zeit', zu benutzen: nur für ihn haben wir einige Jahre in diese Trennung investiert.
Nie hatte ich Zweifel, daß diese Anklage eine politische Angelegenheit ist und wie Gerardo selbst sagte: ‚In irgendeinem Moment, an einem anderen Ort des Systems wird es Gerechtigkeit geben.'
Ich lebe mit der Vorstellung, mich gut zu halten für seine Rückkehr. Wenn einige Personen mich fragen, ob ich auf seine Wiederkehr vertraue, sage ich: ‚Ja, selbstverständlich; ich weiß nicht, ob es im nächsten Jahr sein wird oder viel später, aber ich werde ihn bei mir haben.'
Die Regierung der Vereinigten Staaten verbietet es uns, uns zu treffen, aber was sie nicht verhindern können wird, ist unsere Stärke; die Liebe; das Vertrauen; und die Festigkeit, die wir erlangt haben."
Plötzlich erhebt sich Adriana und geht aus dem Zimmer. Nach ihrer Rückkehr liest sie einige Verse des Dichters und Sängers, der sie durch mehr als ein Jahrzehnt begleitet hat und von dem Gerardo seine Sicherheit schöpft: "Geliebte, ich werde zurückkehren, an einem anderen Morgen aufgeweckt, von hartnäckiger Musik und von Lyrik ... Ich werde von der Sonne her zurückkehren, die den süßen Abgrund erhellt ..."

(Bildinschrift S. 17 rechts oben der Bohemia:
ein ums andere Mal die Briefe von Gerardo zu lesen und ihm zu antworten, das nimmt für lange Zeit für sie einen
guten Teil ihrer Zeit ein.)

(Bildinschrift S. 17 links unten der Bohemia:
Im Gefängnis von Lompoc / Californien, während eines Besuches von seiner Mutter und seiner Schwester
Isabel.)

(handschriftlicher Vermerk zum Vers: "Der süße Abgrund", Lied von Silvio Rodriguez)

Deutsch: ˇBasta Ya! (aus dem Spanischen) Die Bilder reichen wir nach

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