Veröffentlicht am 14. Oktober 2009 in Cubadebate
Arleen Rodríguez Derivet

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

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Mirta Rodríguez (im Rollstuhl), die Mutter von Antonio Guerrero, beim Verlassen des Bundesgerichts in Miami am 13. Oktober 2009, wo Guerrero, nachdem er dort 2001 zu Lebenslang verurteilt worden war, an diesem Dienstag eine neue Strafe von 21 Jahren und 10 Monaten Gefängnis erhielt. Andrés Gómez von der Brigade "José Martí" in Miami schiebt den Rollstuhl. EFE/GASTÓN DE CÁRDENAS

Eine Darstellung der Verhandlung zur neuen Strafzumessung für Antonio Guerrero

Man sagt, der Saal des Gerichts in Miami, wo Antonio Guerrero an diesem Dienstag, dem 13. Oktober, erneut verurteilt worden ist, sei klein. Oder zumindest schien es so um 10 Uhr morgens, als ihn die Freunde des Helden, des Dichters füllten, die an der Verhandlung teilnehmen konnten, um ihm und seinen Angehörigen in diesem entscheidenden Augenblick beizustehen.

Einige kamen aus dem Ausland, andere hatten das Land von der Westküste her durchquert, der Rest lebt in derselben Stadt. Alle hatten sie ihre besten Energien und ihre spärlichen persönlichen Ressourcen in die Solidarität mit der Sache in der vergangenen Dekade investiert.

Sie waren hier stellvertretend für Tausende von Personen, die verbunden sind durch eine Bewegung, die inzwischen alle fünf Kontinente umfaßt und die mit der ausdrücklichen Unterstützung von 10 Nobelpreisträgern, von mehr als 800 prominenten Intellektuellen und von verschiedenen Staatschefs rechnen kann.

Für die Angehörigen von Antonio drei Frauen: Mirta, seine Mutter, Maruchi, seine Schwester, und Maggie, seine Freundin. Erschüttert und erschütternd die Drei in ihrer bewundernswerten Begleitung des innig geliebten Menschen, der sich nur wenige Fuß von ihnen entfernt hinsetzte. Auch Roberto, Bruder von René González, Anwalt und Mitglied der kubanischen Mannschaft von Juristen, die die Familien vertritt.

Man erzählt sich, daß der Held und Dichter, als er den Saal durchquerte, Fußfesseln trug, man ihm aber die Handschellen abgenommen hatte. Daß er aufrecht, gerade, würdevoll vorbeiging ohne den Blick von dem Platz abzuwenden, den man ihm angewiesen hatte. Das Gericht verbietet die Grüße. So daß auf der Suche nach einem Signal in der Tiefe seines sauberen Blicks jemand glaubte einen leichten Lidschlag von Zärtlichkeit zu sehen. Mehr nicht.

Eingangs sagte die Richterin Lenard, sie habe den Text der Vereinbarung zwischen den Staatsanwälten und der Verteidigung noch nicht gelesen, so daß sie eine Pause von 35 Minuten anordnete. Dann kamen die Routinefragen und die technischen Präzisionen, die mündliche Bestätigung, den Wortlaut der Vereinbarung zu kennen, und ein erstes Anzeichen dafür, daß die Sitzung weder kurz noch einfach sein wird: die Richterin sagte, daß das Gericht nicht verpflichtet sei, dem Antrag der Vereinbarung zu folgen, sondern der sogenannten Strafenrichtlinie, der Bundesrichtlinie, die Dauer und Art der Strafe festlegt.

Daraufhin sprach Leonard Weinglass, der Anwalt von Tony. Er hielt eine sehr gute ("tremendo"=volkstümlich: "riesig, einfach toll") Rede, darin waren sich alle einig. Er sprach von dem eindrucksvollen Rekord seines Mandanten: ohne einen einzigen Verstoß gegen die Disziplin, nicht einen, mit einem unermüdlichen Einsatz seiner Begabung, andere Gefangene zu rehabilitieren, und sich selbst in den sieben Jahren seiner Gefangenschaft in dem harten Kerker von Florence weiterzubilden, wo er 30 Prozent der Zeit im lock down (der gemeinschaftlichen Bestrafung der Strafgefangenen wegen Unregelmäßigkeiten in der Einrichtung, mit dener er nichts zu tun hatte) und wo er des öfteren darunter leiden mußte, daß Familienbesuche suspendiert wurden. Niemals sah man ihn verärgert trotz dieser Bedingungen und der Tatsache, daß er eine lebenslange Strafe verbüßte, was beinhaltet, niemals wieder mit seinen Lieben zusammen zu sein.

Jemand notierte einen Satz von Weinglass: "Sie urteilen über ein Individuum, nicht über ein Land", sagte er zu der Richterin in einem Augenblick, bevor er erklärte, wie man zu Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft gekommen war, was keinesfalls leicht gewesen war. Und erforderte sie dringend auf, die Vereinbarung zwischen beiden Parteien zu akzeptieren: 240 Monate (20 Jahre) als eine vernünftige Strafe.

Hier ist eine Pause zu machen. Man kann nicht außer acht lassen, daß es keinem der Fünf gelungen war, völlige Gerechtigkeit in den Einzelphasen der Appellation zu finden, die sie durchliefen, seitdem man sie im Juni 2001 in allen Punkten der Anklage für schuldig befunden hatte.

Die letzte Entscheidung eines höheren Gerichtes war die des Gerichtshofes in Atlanta, die die lebenslangen Strafen für Antonio und Ramón für nichtig erklärt hatte ebenso wie die 19 Jahre für Fernando, weil sie als übermäßig für diejenigen angesehen wurden, die nicht eine einzige die nationale Sicherheit berührende Information erhalten noch weitergegeben hatten.

Dieses Bezirksgericht ordnete die Neufestsetzung der Strafen unter einer neuen Richtlinie an und der Oberste Gerichtshof bestätigte das. Das heißt, er schickte die Drei zu dem Gericht in Miami zurück und zu einem Zeitpunkt ähnlich dem des Juni 2001, als sie schon für schuldig von einem Gericht erklärt worden waren, das innerhalb von Minuten sein Urteil gefällt hatte.

Den Unterschied bildeten dieses Mal die elf bereits verbüßten Jahre und die Gewißheit, ein weniger übertriebenes Urteil erhalten zu können. Gerechtes Urteil, nein. Bekanntlich ist die Freiheit der Fünf, seitdem der Oberste Gerichtshof die Tür zu einer Revision des Prozesses versperrt hat, außerhalb der Justizinstanzen, und ist heute vollständig von dem universellen Anspruch auf Gerechtigkeit abhängig.

Und man kann sich sicher sein, daß das Geschehen an diesem Dienstag in vielem dieser moralischen Forderung nach Menschlichkeit verdankt. Das sagte auf ihre Weise und als sie an der Reihe war die Staatsanwältin Katherine Heck Miller. Auf eine strenge Aufforderung der Richterin hin zu erklären, warum sie früher lebenslange Betrafung zuzüglich 10 Jahre für Antonio gefordert hatten und jetzt mit 20 Jahren als eine vernünftige Strafe einverstanden seien , erkannte die Regierungsvertreterin vor anderen Erwägungen die Kraft des "weltweiten Aufsehens" an, das der Fall erregt hatte.

Gleichwohl beharte die Richterin darauf, sich an die Strafenrichtlinie zu klammern, und setzte sich damit mit einem Jahr und zehn Monaten über die Vereinbarung zwischen den Parteien hinweg. Es war ein Urteil unter ihrer Unterschrift,
das in diesem Augenblick auf sie zurückfiel.

Vielleicht deswegen dienten die letzten Worte des Anwalts in dem kleinen Saal dazu, ein wenig Menschlichkeit bei der Endentscheidung einzufordern. Wieviel Personen opferten den besten Teil ihres Lebens für das Gemeinwohl? fragte er und stellte fest: "Wir sprechen gerade davon, einem Menschen das Herz seines Lebens herauszuschneiden, der zwei Söhne hat, die auf ihn warten, und dem es nicht leicht gefallen ist, mit einer Strafe von 20 Jahren einverstanden zu sein,
nach Verbüßung der Jahre, die er in einem der härtesten Gefängnisse verbüßt hat. Niemand gibt hier etwas auf. Sie gestehen nichts zu", präzisierte er gegenüber der Richterin.

Beim Verlassen des Gerichts , schon nach Mittag, bekannte Weinglass gegenüber der Presse, daß es das erste Mal in seiner langen und intensiven Karriere war, daß´ein Richter sich nicht an Vereinbarungen unter den Parteien hielt. Und er kündigte an, daß das Verteidigerteam einen Habeas Corpus** Mitte nächsten Jahres präsentieren wird. Es gibt neue Beweise, die verdienen, den Fall neu zu eröffnen.

Kaum waren sie außerhalb des Gerichts schickten die Freunde ihre ersten Berichte an die (treuen) Seelen, die auf das Ergebnis und die Einzelheiten jener Stunden warteten, in denen die Solidarität das entscheidende Gewicht ihrer Kraft prüfen konnte. Wie Gerardo Hernández vor einem Jahr sagte, im Kampf für die ganze Gerechtigkeit haben nur sie das letzte Wort.


*) Darstellung zusammengestellt an Hand von kommentierten Notizen von Gloria La Riva und den Eindrücken von Andrés Gómez, Alicia Jrapko und weiterer Freunde, die an der Verhandlung teilgenommen haben. Es sind keine Agen-. turmeldungen benutzt worden und kein Zitat ist wörtlich.

**) Wohl eine Art Wiederaufnahme eines Freiheitsentziehungsverfahrens, das zulässig wäre, nachdem Beweise nach Eintritt der Rechtskraft der freiheitsentziehenden Entscheidung aufgefunden worden sind. Schön wäre es z.B. im Falle von Gerardo, wenn jetzt stichhaltige, unwiderlegbare Beweise dafür vorlägen, daß die beiden Flugzeuge der "Brüder zur Rettung" im kubanischen Luftraum abgeschossen wurden.

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Fotografische Reproduktion der Zeichnung der Künstlerin des Bundesgerichts in Miami, Shirley Henderson, an diesem 13. Oktober 2009 mit Antonio Guerrero und seinem Verteidiger Leonard Weinglass
EFE/GASTÓN DE CÁRDENAS/Shirly Henderson

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Außerhalb der Verhandlung zeigt ein Mitglied der Solidaritätsgruppen mit den Fünf ein Bild mit den fünf zu Unrecht in den USA eingesperrten Kubanern Foto: AP

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Antonio Guerrero mit einem seiner Bilder, das zwei Bolivianerinnen darstellt. Foto von einem Wärter im Gefängnis aufgenommen. (Archiv von Cubadebate)

Deutsch: ĦBasta Ya! (Günter Belchaus)

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