New York Times, 3. Februar 2007

Bombenattentat beschäftigt Diplomaten, aber nicht den Attentäter

Von Simon Romero

Es gibt nicht viele Orte, an denen man einen Mann antreffen kann, der wegen des Bombenanschlags auf ein Verkehrsflugzeug, bei dem 73 Menschen getötet wurden, verurteilt war und sich dort auf der Straße herumtreibt. Diese Stadt, der Wohnort von Freddy Lugo, ist einer von ihnen.
Mr. Lugo wird hier zwar wie eine unangenehme, für die meisten seiner Landsleute düstere Erinnerung an den Kalten Krieg versteckt, ist aber nicht vollständig vergessen. Er war einer der beiden Männer, die 1976 wegen der Anbringung von Sprengstoff in einem von den Cubana Airlines betriebenem DC-8-Verkehrsflugzeug zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden waren.
Das Flugzeug explodierte im Himmel über Barbados, wobei alle an Bord getötet wurden, einschließlich der zwei Dutzend Mitglieder der kubanischen Fechtnationalmannschaft und eines 9-jährigen Mädchens aus Guyana. Diese Explosion, die als der erste Terrorakt im Luftraum amerikanischer Länder gilt, vergiftet bis heute die Beziehungen zwischen Havanna und Washington.
Der jetzt 65-jährige Mr. Lugo wurde 1993 nach 17 Jahren aus dem Gefängnis entlassen und versuchte, die Vergangenheit hinter sich zu bringen. "Ich führe jetzt ein ruhiges Leben," sagte er in einem knapp 90-minütigen Interview in einer Konditorei in der Nähe seiner Wohnung, während seine Blicke um sich schossen. "Ich habe ein reines Gewissen."
Aber die Vergangenheit kann ihn doch wieder einholen. Es gibt den Gelegenheitsjournalisten, dem gegenüber man sich behaupten muss und das Aufflackern von Wiedererkennen bei den vielen Kubanern, die hier leben. So, wie viele Amerikaner Mohamed Atta auf den Straßen von New York wiedererkennen würden, wenn er noch lebte, so verfolgt die Venezolaner Mr. Lugos Gesicht.
Ein neues Buch über das Bombenattentat auf die Cubana von den beiden venezolanischen Journalisten Alexis Rosas und Ernesto Villegas mit dem Titel, "Terrorist der Bush-Familie", hat auch keine Abhilfe geschaffen. Das Buch ist hier seit seiner Herausgabe zum Bestseller geworden. Es hat die Aufmerksamkeit wieder neu auf das Bombenattentat und auf die Forderung Venezuelas an Washington gelenkt, den wegen der Autorenschaft an dem Bombenattentat angeklagten kubanischen Exilanten Luis Posada Carriles auszuliefern, damit er sich hier den gegen ihn erhobenen Terrorismusanklagen stelle.
Bis jetzt hat sich die Bush-Administration geweigert, und der 78-jährige Mr. Posada Carriles, ein eingebürgerter Venezolaner, der sich 2005 in die Vereinigten Staaten schmuggelte, sitzt zurzeit wegen Verstoßes gegen das Einwanderungsgesetz in einem Gefängnis im Süden von New Mexico.
Die Regierung des Präsidenten Hugo Chávez, eine derzeit zuverlässige Verbündete Kubas, sagt, die Schwierigkeit mit der Auslieferung von Mr. Posada Carriles veranschauliche die Heuchelei der Amerikaner in ihrem Kampf gegen Terroristen. In ähnlicher Weise weist die kubanische Regierung auf Dokumente hin, die zeigen, dass die C.I.A. Kenntnis davon hatte, dass ein solcher Anschlag in Caracas ausgeheckt wurde.
Seit der Veröffentlichung des Buches haben wissenschaftliche Ermittler und Reporter öfter denn je versucht, Mr. Lugo zwecks Interview aufzuspüren, aber weil er die Banalität eines anonymen Lebens vorzieht, hat er sie fast immer abgewimmelt.
Mr. Lugo, der sich mit einem Gypsy Cab [Zigeunertaxi ?] über Wasser hält, hat alles versucht, im Schatten der diplomatischen Erregung um Mr. Posada Carriles zu bleiben. Er beschrieb ihn einfach als "einen Abenteurer, der zu allem fähig ist".
Trotz seiner Verurteilung sagte Mr. Lugo, dass er sich als Bauernopfer der Machenschaften kubanischer Exilanten, Fidel Castro zu stürzen, vorkomme. Gemeinsam mit vielen dieser Kubaner befand sich der Venezolaner Mr. Lugo in den 1970ern in Caracas.
Ann Louise Bardach, eine Journalistin und Expertin für kubanische Politik, nannte das Caracas jener Jahre das Casablanca der Karibik, eine Stadt, die eine schmutzige Mischung von Spionen, Guerillas und Drogenhändlern angezogen habe.
Hier war es, wo Mr. Lugo damals Fotoreporter war und wo er dem Mann begegnete, der ihn für das Bombenkomplott rekrutierte, laut Polizeiakten war es ein Kollege, der venezolanische Journalist, namens Hernán Ricardo Lozano.
Mr. Ricardo hatte, wie es sich heraussteltte, als Fotograf und Beobachter mit Mr. Posada Carriles zusammen gearbeitet. Mr. Posada Carriles hatte, bevor er nach Caracas gezogen war, in den 1960ern eine lange Geschichte als Funktionär der C.I.A. In Caracas wurde er in den 1970ern Chef für Operationen der venezolanischen Geheimpolizei, DISIP.
"Mein Leben wäre ganz anders verlaufen, wenn ich Hernán Ricardo niemals getroffen hätte," sagte Mr. Lugo.
Die beiden Männer gingen am 6. Oktober 1976 in Port of Spain, der Hauptstadt von Trinidad und Tobago, an Bord der Cubana Airlines, Flug 455. In Barbados, wo das Flugzeug auf seiner Route nach Havanna zwischenlandete, gingen sie von Bord. Vor dem Verlassen des Flugzeuges, hinterließen sie in einer Kameratasche und in einer Tube Colgate Zahnpasta C-4-Plastiksprengstoff an Bord. So lauteten die von der Polizei in Trinidad erhaltenen Aussagen, nachdem die beiden dort in den Tagen nach dem Anschlag verhaftet worden waren.
"Wir haben eine Explosion," sagte der Pilot der Cubana auf der Tonbandaufnahme in den letzten sich überstürzenden Momenten des Flugzeugs mit Angst in der Stimme, bevor es in die Karibik stürzte. Die Aufnahme, die im vergangenen Oktober hier und in Havanna zur Erinnerung an den 30. Jahrestag dieses Ereignisses wiederholt gesendet wurde, fährt fort: "Wir landen unverzüglich. Wir haben Feuer an Bord."
Kürzlich vom National Security Archive in Washington eingeholte Dokumente beschreiben die banalen Einzelheiten, die zur Organisation des Bombenattentats gehörten. Mr. Lugo sagte bei dem Verhör gegenüber der Polizei von Trinidad, Mr. Ricardo habe "ihm gesagt, dass er ein kubanisches Flugzeug sprengen wolle." Er sagte, er habe gesehen, wie Mr. Ricardo "in seiner Hand etwas knetete, das aussah wie Teig", bevor er an Bord ging.
Mr. Ricardo sagte, nachdem er bei einem Selbstmordversuch in der Polizeigewahrsam in Port-of Spain sein Handgelenk aufgeschlitzt hatte, dass man ihm für den Job 16.000 $ gezahlt habe und dass Mr. Lugo 8.000 $ erhalten habe.
Ein von Clarence Kelly, der damaligen FBI-Direktorin, vorbereiteter Geheimreport besagte, dass Mr. Posada Carriles an den Treffen in Caracas, wo der Anschlag geplant worden war, teilgenommen habe.
Der Report, der einen Informanten in Caracas zitiert, besagt, dass Mr. Ricardo Orlando Bosch angerufen habe, einen anderen kubanischen Exilanten, der wegen des Bombenanschlags angeklagt war und gesagt habe: "Ein Bus mit 73 Hunden ging über die Klippe, und alle wurden getötet."
Mr. Bosch wurde schließlich von den venezolanischen Gerichten laufen gelassen und lebt jetzt ruhig in Miami, nachdem er 1990 von der Administration des Präsidenten George H. W. Bush, der zurzeit des Bombenanschlags CIA-Direktor war, vor der Ausweisung bewahrt worden war.
Mr. Posada Carriles gelang hier 1985 die Flucht aus dem Gefängnis und nahm dann seinen Weg nach Mittelamerika, und von dort reiste er 2005 in die Vereinigten Staaten ein und wurde geschnappt.
Mr. Ricardo verbüßte gemeinsam mit Mr. Lugo 17 Jahre Haft. Heute sind seine Aufenthaltsorte schwer festzustellen, obwohl Mr. Lugo sagte, er glaube, dass er Venezuela verlassen habe.
Mr. Lugo seinerseits teilt jetzt seine Zeit zwischen einer Wohnung ein, in der er mit seiner Frau lebt, einem eleganten, wenn auch verfallenden Gebäude an einer ruhigen von Bäumen gesäumten Straße und dem Heim seines Sohnes in einer ärmlichen Gegend. Er sagte, er vermeide jede Verstrickung in Politik.
Er sagte, sein Taxi, ein alternder beigefarbener Sedan, sei seine einzige Einnahmequelle. Seine Journalisten-Freunde grüßten ihn noch und schüttelten ihm die Hand, sagte er, obwohl sie seine Vergangenheit kennten. Ihm fehlen ein paar Zähne, aber ansonsten wirkt er jünger als 65 Jahre. Ein kürzlich entdecktes Herzleiden, sagte er, habe ihn zum Abstinenzler gemacht.
Danach befragt, ob er Gewissensbisse wegen der 73 Toten habe, einschließlich der vielen Teenager der kubanischen Fechtmannschaft, antwortete Mr. Lugo, dem sei nicht so. Er erklärte dazu etwas schleierhaft, dass er sich als Manipulierter betrachte bei einer Aktion, die außerhalb seiner Kontrolle gelegen habe. "Ich bin ein normaler Mann," sagte er. "Ich bin unschuldig."
Andere widersprechen ihm. "Freddy Lugo mag es nicht zugeben wollen, aber er ist ein Massenmörder," sagte José Pertierra, ein Anwalt in Washington, der die venezolanische Regierung bei ihrem Versuch vertritt, Mr. Posada Carriles' Auslieferung zu erreichen. "Er kann behaupten, er sei nicht federführend gewesen; er mag vielleicht behaupten, er sei hinters Licht geführt worden. Aber er nahm an einem Terroranschlag teil, der 73 Menschen tötete."

Deutsch: ¡Basta Ya!

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