BBC-Interview mit Gerardo Hernández

BBC World Service, 2. Juli 2007

Claire Bolderson: Nächsten Monat wird ein Gericht in Florida einen Berufungsantrag zu einem Fall anhören, der viel über die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba aussagt. Gerardo Hernández und vier andere Kubaner waren im Dezember 2001 in Florida wegen einer ganzen Reihe von Anklagen verurteilt worden. Dazu gehörten der Versuch, US-Militär-Geheimnisse zu erfahren, Ausspionieren von kubanischen Exilgruppen und, im Fall von Herrn Hernández, Verschwörung im Zusammenhang mit dem Tod von vier Cubano-Amerikanern, deren Flugzeuge von der kubanischen Regierung 1996 abgeschossen worden waren.
Gerardo Hernández verbüßt eine doppelte lebenslange Strafe, aber er behauptet, alles, was er versucht habe, sei gewesen, Kuba vor "Terrorgruppen", Anti-Castro-Organisationen in den USA, zu schützen. Er und seine Mitangeklagten behaupten auch, dass ihr Verfahren wegen der Anti-Castro-Stimmung in Florida unfair gewesen sei.
In dem ersten je mit einem der fünf Gefangenen gehaltenen Medien-Interview sprach Herr Hernández mit mir über Telefon aus seinem Höchstsicherheitsgefängnis in Victorville, Kalifornien, und ich bat ihn, seine Geschichte von Anfang an zu erklären.

Claire Bolderson: Herr Hernández, ich weiß, es gab viel Besorgnis über Ihre Behandlung im Gefängnis und die Zeit, die Sie vor einer Weile in Isolationshaft verbracht haben. Können Sie mir beschreiben, wie Sie jetzt behandelt werden, wie sind die Umstände im Gefängnis für Sie?

Gerardo Hernández: Ich bin ein normaler Insasse in einem US-Zuchthaus, und ich möchte sagen, dass der schlimmste Teil meiner Behandlung nichts mit dem Gefängnis zu tun hat, sondern mit der Regierung der USA. Ich würde sagen, dass das Schlimmste an meiner Haft die Tatsache ist, dass ich meine Frau seit zehn Jahren nicht mehr sehen konnte, weil die US-Regierung ihr kein Visum bewilligt, damit Sie mich besuchen kann. Das ist die eine Sache, und im Übrigen ist es, wie Sie wissen, ein Gefängnis, und ich bin Insasse wie jeder andere, und es ist nicht leicht, Insasse zu sein, aber es geht mir gut.

CB: Wollen Sie damit sagen, dass Sie überhaupt keine Familienbesuche hatten?

GH: Doch, ich hatte einige Familienbesuche - meine Mutter und meine Schwester konnten kommen, aber meine Frau, mit der ich seit 19 Jahren verheiratet bin, konnte mich nicht besuchen kommen, weil man ihr immer wieder ein Visum verweigert hat. Deswegen konnte ich Sie in den letzten zehn Jahren nicht sehen.

CB: Sie wurden wegen einer ganzen Reihe von Beschuldigungen verurteilt. Eine war, Sie hätten versucht an US-Militärgeheimnisse zu kommen, indem Sie versucht hätten, eine Basis zu infiltrieren, und dass Sie als unregistrierter Agent für eine ausländische Regierung gearbeitet hätten. Können Sie uns erklären, was Sie in erster Linie in Florida gemacht haben.

GH: Gut, in erster Linie habe ich Informationen gesammelt über Terrorgruppen, die in Florida in völliger Straffreiheit operieren. Das sind Leute, die Trainingscamps bekommen haben, paramilitärische Organisationen, die nach Kuba gehen, um dort Sabotage zu betreiben, Bomben zu legen und andere Aggressionen zu begehen. Und wie ich Ihnen schon sagte, sie gehen straffrei aus. Also, zu einem bestimmten Zeitpunkt entschied Kuba, einige Leute auszuschicken, die Informationen sammeln und nach Kuba schicken sollten, um solche Aktionen zu verhindern. 1998 übergab Kuba dem FBI einige Informationen über diese Gruppen, in der Hoffnung, das FBI würde etwas gegen sie unternehmen. Aber unglücklicherweise verhafteten sie die Leute, die die Informationen gesammelt hatten. Was den militärischen Teil betrifft: ich war angeklagt wegen Verschwörung, Spionage begehen zu wollen, und das, weil es überhaupt keine Spionage gab. In unserem Verfahren, das sieben Monate dauerte, sagten drei oder vier pensionierte Generäle aus, dass es in diesem Fall nichts gab, was mit Spionage zu tun hätte. Aber da es in Miami stattfand, konnten wir kein faires Verfahren bekommen. Wir wurden für schuldig befunden, aber ich wiederhole, wegen Verschwörung, weil die Regierung sagte: "Augenblick mal - sie haben keine Spionage begangen, aber sie hätten es irgendwann versucht." Das ist Verschwörung, Spionage begehen zu wollen, aber nicht kleinste geheime Information, nichts, was mit der Sicherheit der USA zu tun hat, wurde gesammelt oder übermittelt.

CB: Aber Sie geben zu, dass Sie als Agent einer ausländischen Regierung gearbeitet haben, und in Ihrer Verteidigungsrede sagen Sie, dass Sie mit gefälschten Papieren und falschem Namen gearbeitet haben?

GH: Ja, ich gebe es zu.

CB: Aber das ist doch eine ernste Sache, so etwas zu tun, nicht wahr?

GH: Ja, das ist es. Aber es gibt etwas, das nennt sich "necessity defense", das bedeutet, man darf das Gesetz verletzen, wenn man dadurch Verbrechen verhindert, das versteht man. Ja, ich habe falsche Papiere, ich habe für eine ausländische Regierung gearbeitet, aber nicht um die Interessen der USA zu verletzen, sondern um die Interessen Kubas zu verteidigen, um das kubanische Volk vor dem Terrorismus zu beschützen.

CB: Und die Verbrechen, die Sie zu verhindern suchten, was für Verbrechen waren das genau?

GH: Gut, z.B. 1997 explodierte in einem kubanischen Hotel eine Bombe und tötete einen italienischen Touristen. Und 1976, wie Sie wissen, explodierte eine Bombe in einem kubanischen Flugzeug und tötete 73 Menschen. Und das sind nur zwei Beispiele für Terroranschläge, die gegen Kuba begangen wurden. Jeder, der in Miami lebt, weiß was Commandos F-4 ist, und er weiß, was Alpha 66 ist, und er weiß, wer die Brothers to the Rescue sind [Brüder zur Rettung].

CB: Und wer sind das. Können Sie mir erklären, was diese Namen bedeuten?

GH: Ja, sie werden gewöhnlich paramilitärische Gruppen genannt. Ich nenne Sie Terrorgruppen. Sie haben Trainingscamps in den Everglades bekommen, sie tragen Uniformen und haben Waffen, und sie trainieren für den Tag, an dem sie Cuba "befreien" wollen. Sie fahren mit Booten nach Kuba und feuern auf kubanische Gebäude, und sie versuchen interne Sabotage und alle Arten von Aktionen zu organisieren.
Das ist öffentlich bekannt - lesen Sie die Zeitungen aus Miami, dann können sie es sehen. Dann können Sie sehen, dass sie nach Kuba gehen und Schießereien anzetteln und wenn sie zurückkommen, werden sie wie Helden empfangen. Wir haben in unserem Verfahren Zeugen vorgestellt, wir ließen die Coast Guard und das FBI vorladen, und wir präsentierten Beweise dafür, welche Straffreiheit diese Leute [die Terrorgruppen] genießen. Wir haben z.B. einen Beamten der Coast Guard gefragt: "Ist es wahr, dass Sie heute eine Gruppe, die mit Waffen und Sprengstoff auf dem Weg nach Kuba war, abgefangen haben?" "Ja, das ist wahr." "Ist es wahr, dass Sie ihnen nur die Waffen abgenommen und die Kerle dann laufen lassen haben?" "Ja." "Warum?" "Weil sie sagten, dass sie Hummer fangen." Solche Dinge passierten in unserem Verfahren, und das ist kein Einzelfall - es gibt eine lange Liste von Aggressionen gegen mein Land. Also hat das kubanische Volk ein Recht darauf, sich gegen Terroranschläge zu verteidigen.
Hoffentlich werden die US-Regierung und die US-Behörden etwas unternehmen, denn sie sagen ja, sie führten einen Krieg gegen Terroristen. Aber wie kann es dann angehen, dass man diesen Terroristen erlaubt, frei in Miami zu agieren?
Kürzlich, gerade vor einem Monat, wurde der Kerl, der die Sprengung des kubanischen Flugzeuges, bei der 73 Menschen starben, angestiftet hatte, entlassen und lebt jetzt frei in Miami.

CB: Es gibt eine sehr umstrittene Anklage gegen Sie, wegen der Sie verurteilt wurden und weswegen Sie eine derart lange Strafe absitzen müssen - der Abschuss von zwei Zivilflugzeugen der Vereinigten Staaten 1996. Haben Sie irgend welche Verbindungen dazu?

GH: Nein, absolut nicht. Aber Sie müssen verstehen, was wirklich passiert ist. Der Mann, der diese Flugstaffel leitet, heißt José Basulto. Er war in den 60ern CIA-Agent und in Kuba eingedrungen, um dort Sabotage zu begehen. Danach, 1962 fuhr er in einem Boot zurück nach Kuba und feuerte mit einer Kanone auf ein kubanisches Hotel, fuhr zurück nach Miami und wurde wie ein Held empfangen. Und er hat eine lange Geschichte von Terroranschlägen gegen Kuba und eines Tages sagte er: "In Ordnung, ich will jetzt ein Menschenfreund werden, ich nehme jetzt dieses kleine Flugzeug und fliege damit ohne Genehmigung nach Kuba und werfe Flugblätter und Propagandamaterial ab." Und das tat er sechzehn Mal. Und Kuba schickte den USA sechzehn diplomatische Noten, die in unserem Verfahren vorgelegt wurden, die besagten: "He, diese Leute verletzen internationale Gesetze, US-Gesetze, kubanische Gesetze." Und die kubanischen MIGs stiegen auf und begleiteten diese Leute aus Kuba heraus und Kuba sagte: "He, tut das nicht noch einmal, ihr gefährdet unser Flugzeug, unsere Bevölkerung, alles.

CB: Das mag falsch gewesen sein, und ich bin sicher, dass es deswegen viele diplomatische Auseinandersetzungen gegeben hat. Aber was mich interessiert ist, was Sie damit zu tun hatten.

GH: Nichts. Ich war in Miami, und die Flugzeuge wurden ganz weit weg über kubanischen Gewässern abgeschossen.

CB: Also haben Sie keine Informationen geschickt, die es der kubanischen Regierung erleichtert haben, die Flugzeuge abzuschießen?

GH: Nein, natürlich nicht. Wenn Sie sich die Berichte aus der Zeit ansehen, werden sie sehen, dass José Basulto den Flug lange vorher angekündigt hatte. Er sagte: "Wir fliegen am 24. Februar," und jeder wusste es.
Wir haben in unserem Verfahren ein Memorandum der US-Regierung vorgelegt, von der Federal Aviation Agency [Bundesflugagentur], das den Leuten sagt: "He, er beabsichtigt, es am 24. Februar zu tun, und wir sind besorgt, dass etwas passieren wird, weil Kuba schon gesagt hat, dass sie abgeschossen würden, wenn sie es wieder tun, also sollten wir dafür sorgen, dass sie die Füße stillhalten." Das ist das, was das Memo aussagt. Also hatte jeder erwartet, dass etwas passieren würde. In unserem Verfahren trat auch Richard Nuccio, der frühere Berater von Präsident Clinton, auf und sagte: "Ja, die Organisation war außer Kontrolle." Es gibt einen langen Disput über den Zwischenfall. Kuba sagt, dass die Flugzeuge laut Radar über kubanischem Gewässer abgeschossen wurden. Die USA sagen, ein Flugzeug wäre über kubanischem Gewässer gewesen, aber die beiden abgeschossenen wären zwar in die Richtung geflogen, aber über internationalem Gewässer.
Und die Regierung klagt mich der Verschwörung an und sagt, sie täte das, weil ich gewusst hätte, dass die Flugzeuge abgeschossen würden, und ich hätte gewusst, dass die Flugzeuge über internationalen Gewässern abgeschossen würden, was überhaupt keinen Sinn macht. Es ist verrückt, aber sie brauchten einen Schuldigen und da nahmen sie mich.

CB: Sie haben demnächst eine Berufung. Was ist die Begründung für die Berufung?

GH: Wir haben verschiedene Punkte in unserer Berufung. Der Hauptpunkt, um den es uns wirklich ging, nämlich die Verlegung des Gerichtsortes, wurde leide abgewiesen.
Wir behaupten, das Verfahren in Miami sei nicht fair gewesen. Unser Verfahren dauerte mehr als sieben Monate, und es wurden über 100 Zeugen gehört. Die Geschworenen haben nur wenige Stunden überlegt und stellten keine einzige Frage. Sie befanden uns einfach nur schuldig, in jedem einzelnen Punkt, und dann gab die Richterin uns in jedem Punkt die höchst mögliche Strafe.

CB: Und Sie sagen, das wäre wegen des Einflusses der kubanischen Exilgemeinde in Florida?

GH: Ja natürlich. Während des Verfahrens gab es alle möglichen Unregelmäßigkeiten, um es einmal so zu nennen. Die Leute haben die Geschworenen angerufen, und sie haben die Geschworenen verfolgt, die Presse hat die Geschworenen auf dem Weg zu ihren Autos verfolgt, und es gab Aufruhr und irgendwelche Proteste vor dem Gericht, und laute solche Sachen.

CB: Also, Sie glauben, die Geschworenen waren eingeschüchtert, oder sogar manipuliert? War es so schlimm?

GH: Ich glaube, die Geschworenen waren eingeschüchtert. Jeder, der in Miami lebt oder weiß, wie es dort zugeht, versteht, dass in Miami nichts, was mit Kuba zusammenhängt, normal ist.
Gerade jetzt wurde z.B. ein Buch aus den Regalen in Miami entfernt, aus den Schulen, nur weil auf dem Titelblatt lächelnde, glücklich aussehende kubanische Kinder abgebildet sind. Es ist ein Kinderbuch mit dem Titel "Lasst uns nach Kuba gehen." Nur deswegen haben sie das Buch entfernt und weil es einen Satz in dem Buch gibt, in dem es heißt: "Kubanische Kinder lernen und leben wie du," oder so ähnlich, nur deswegen. Jeder, der die Geschichte von Miami kennt, weiß, dass dort Menschen nur dafür getötet worden sind, weil sie für bessere Beziehungen zu Kuba eintraten. Ich glaube, ich kann Ihnen erzählen, dass auf das Magazin Replica sieben Bombenanschläge verübt wurden, weil es für bessere Beziehungen zu Kuba eintritt. Man muss dort leben, um die Leute von Miami zu verstehen. Die meisten [US-]amerikanischen Menschen haben überhaupt keine Ahnung, was in Miami abgeht. Es ist wie ein anderes Land.

CB: Der kubanische Leader Fidel Castro hat sich in der Vergangenheit sehr für Ihren Fall interessiert und zu Ihren Gunsten gesprochen. Haben Sie überhaupt etwas von ihm direkt gehört?

GH: Ja, ich hatte die Gelegenheit, vor zwei Jahren an seinem Geburtstag mit ihm zu telefonieren. Ich hatte damit gar nicht gerechnet. Ich habe an dem Tag gerade meine Frau angerufen, weil das auch der Geburtstag meines Freundes René González ist. Und unsere Familien waren gerade bei ihm [Fidel]. Als ich das erfuhr, sagte ich zu meiner Frau: "Bestelle ihm bitte herzliche Glückwünsche zum Geburtstag von mir." Und dann sagte er: "Oh, warte eine Sekunde, ich möchte mit ihm sprechen." So bekam ich die Gelegenheit ein paar Minuten mit ihm zu sprechen, was natürlich ein großes Erlebnis für mich war.

CB: Und was hat er gesagt?

GH: Er hat gesagt, dass er sehr zuversichtlich sei, dass die Gerechtigkeit siegen werde, denn er sei immer zuversichtlich gewesen, wenn das [US-]amerikanische Volk erführe, was in unserem Fall geschehen ist, wenn das [US-]amerikanische Volk die Wahrheit über unseren Fall erführe, würde die Gerechtigkeit siegen. Jeder ist in diesem Punkt zuversichtlich.

CB: Das war Gerardo Hernández von den Cuban Five per Telefon aus einem Gefängnis in Kalifornien.

Deutsch: ¡Basta Ya!

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