Counterpunch
Wochenendausgabe, 27.-29. März 2009

Eine historische Marschroute für die Befreiung der fünf Kubaner
Geste gegen Geste

José Pertierra

Jüngste Erklärungen von Präsident Raúl Castro enthüllen eine Bereitschaft, sich auf einen Handel mit den Vereinigten Staaten einzulassen, der, wenn erfolgreich, die Rückkehr der fünf Kubaner bedeuten könnte. In Beantwortung auf Fragen von Reportern im vergangenen Dezember enthüllte Raúl eine Bereitschaft, einige der derzeitig Gefangenen in Kuba freizulassen in Reaktion auf eine Geste seitens der Vereinigten Staaten, die fünf Kubaner freizulassen. "Gesto a gesto", nannte er es: Geste gegen Geste. (1)
Gibbon sagte, die einzige Möglichkeit, die Zukunft beurteilen zu können, sei die durch die Vergangenheit. Und die Geschichte stellt uns die Laterne, die eine mögliche politische Lösung für die heikelste Sache erhellt, die das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba noch immer beschädigt: die Gefangenen.

HISTORISCHER PRÄZEDENZFALL

Es gibt einen historischen Präzedenzfall für eine wechselseitige Freilassung von Gefangenen auf unilateraler Basis, die jedoch durch entsprechende rückwirkende Geste erwidert wurde. Er ist wenig bekannt, aber Dank seitens der U.S.-Regierung freigegebener Dokumente können wir jetzt aus den delikaten Verhandlungen lernen, die vor dreißig Jahren zu einer wechselseitigen Freilassung wichtiger Gefangener führte.
Im September 1979 ließen die Vereinigten Staaten einseitig vier puertoricanische Nationalisten frei, und zehn Tage später antwortete Kuba mit der Freilassung von vier Bürgern der Vereinigten Staaten, die in Kuba gefangen gehalten wurden. (2)
Es ist bemerkenswert, dass die Redewendung, "gesto-a-gesto", die Raúl jetzt einsetzt, um auf die Freilassung der fünf Kubaner zu drängen, die selbe ist, die sein Bruder Fidel 1978 anwandte, als der den U.S.-Diplomaten Robert Pastor und Peter Tarnoff sagte, "Ich verstehe nicht, warum Sie hinsichtlich der Puertoricaner so hartnäckig sind. Die USA könnten sie als Geste freilassen, und dann würden wir mit einer anderen Geste - ohne jeden Winkelzug - nur als eine unilaterale humanitäre Geste reagieren. (3)
Die Dokumente der U.S.-Regierung bestätigen, dass es Diskussionen zwischen der U.S.- und der Kubanischen Regierung 1978 und 1979 hinsichtlich eines Austausches von Gefangenen gab. Der Berater für nationale Sicherheit Zbigniew Brzezinski sagte in einem Brief von 1979 an das Justizministerium:
"Castro und seine Vertreter haben öffentlich gesagt und uns privat mitgeteilt, dass, wenn wir die vier Puertoricaner freilassen, sie nach einem angemessenen Abstand die vier in Kuba inhaftierten Bürger der Vereinigten Staaten freilassen werden. ...während wir einen Austausch weder akzeptieren noch in Erwägung ziehen sollten, würde die Tatsache, dass die USA eine positive Entscheidung fällen, voraussichtlich zu der positiven Entscheidung Kubas führen, die U.S.-Bürger freizulassen, eine willkommene Aussicht." (4)

DIE GEFANGENEN WURDEN BEFREIT

Zum Zeitpunkt ihrer Freilassung 1979 waren die Puertoricaner Lolita Lebrón, Rafael Cancel Miranda, Irving Flores Rodríguez und Oscar Collazo schon seit über 24 Jahren in den Vereinigten Staaten in Haft. Die Amerikaner, die Kuba zehn Tage darauf entließ, Lawrence Lunt, Juan Tur, Everett Jackson und Claudio Rodríguez, hatten über 10 Jahre in kubanischen Gefängnissen verbracht.

DIE AKTENVERMERKE VON BRZEZINSKI UND PASTOR

Eines der interessantesten freigegebenen Dokumente ist ein Memorandum, das vom Nationalen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski 1979 an John R. Standish, dem Begnadigungs-Anwalt im Justizministerium, geschrieben worden war. In diesem Memorandum befürwortet Brzezinski, dass die U.S.-Regierung die Strafmaße der vier Puertoricaner reduzieren möge.
Die Obama-Administration könnte aus dem Brzezinski-Vermerk über den Nutzen einer Geste-gegen Geste-Verhandlung lernen, dass, wenn sie jetzt angewandt würde, man diplomatischen Nutzen für beide Länder daraus ziehen könnte. In seinem Vermerk an das Justizministerium hob Brzezinski hervor, dass die fortgesetzte Inhaftierung der Puertoricaner Öl in das Feuer der Kritik an der U.S.-Politik gieße und dass eine Minderung der Strafmaße als eine mitleidige humanitäre Geste begrüßt werden würde. Brzezinski argumentiert weiter, dass die Freilassung dieser Gefangenen den Tagesordnungspunkt aus der Agenda der Vereinten Nationen, der Blockfreien Staaten und anderer internationaler Foren entfernen werde, der jedes Jahr zu Propagandazwecken und zur Kritik an der U.S.-Politik und zunehmend als ein Beispiel für die Widersprüchlichkeit unserer Menschenrechtspolitik genutzt werde. (5)
Robert Pastor führt einen ähnlichen Punkt in einem Memorandum vom 26. September 1978 an. Nach einer Kosten-Nutzen-Analyse der Situation folgert Pastor:
"Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass das Risiko der Freilassung (der puertoricanischen Nationalisten) absolut klein ist, während der Nutzen einer humanitären, mitleidigen Geste beachtlich ist. Ich glaube auch, dass der Präsident beachtlichen politischen Nutzen in Puertorico erzielen würde, weil es dort breite Unterstützung für solch einen Schritt gibt." (6)

DER FALL DER CUBAN FIVE

Die heutige Kritik an der U.S.-Politik zielt auf die fünf Kubaner als ein Beispiel für amerikanische Doppelmoral: Die Terroristen dürfen sich frei in Miami aufhalten und diejenigen, die nach Miami gingen, um Kuba vor den Terroristen zu schützen, werden ins Gefängnis geworfen. Die fünf Kubaner gehören einem Team von Agenten an, das Kuba zum Sammeln von Hinweisen über die Schuldigen an der Terrorkampagne gegen zivile Ziele auf der Insel nach Miami geschickt hatte, eine Kampagne des Terrors, die über 3.000 Leben kostete. Das Team unterwanderte cubano-amerikanische Terrorgruppen in Miami und Kuba nutzte die von den Fünfen gesammelten Beweise, um sie dem Federal Bureau of Investigations [Bundesermittlungsbüro] (FBI) mit den Namen und Örtlichkeiten der Terroristen zu übergeben. Statt die Terroristen zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen, lernte das FBI, dass Kuba in die in Miami ansässigen Terrornetzwerke eingedrungen war und verhaftete die fünf Kubaner 1998. Am 8. Juni 2001 wurden sie für schuldig befunden und zu vier Mal lebenslänglichen Strafen, insgesamt zu 75 Jahren verurteilt. [Es sind 78 Jahre, zu denen sie erst im Dezember 2001 verurteilt wurden, Anm. d. Ü.].
Es wird erwartet, dass das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten im Verlauf dieses Jahres urteilen wird, ob das Gericht in Miami, das sie verurteilte und bestrafte, sich irrte, als es deren Verhandlung in dem von Feindseligkeit und Vorurteilen gegen Kuba eingenommenen Miami durchsetzte. Zehn Nobelpreisträger unterstützen Amicus Curiae Briefs (Anträge der "Freunde des Gerichts"), die den Supreme Court um Revision des Falles baten. Den Nobelpreisträgern schließen sich Hunderte von Parlamentariern aus aller Welt an, einschließlich zweier früherer Präsidenten und dreier derzeitiger Vize-Präsidenten des Europäischen Parlaments sowie zahlreiche U.S.- und ausländische Juristenorganisationen und Menschenrechtsorganisationen.
Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen bemerkte, dass ihr Verfahren in Miami von einem Klima der Befangenheit und der Vorurteile umgeben war, und die Arbeitsgruppe für Willkürliche Inhaftierungen kam zu dem Schluss, dass das Verfahren nicht in dem erforderlichen Klima der Objektivität und Unparteilichkeit stattfand, das den Standards für ein faires Verfahren entspreche. (7)
Jedoch, selbst wenn die fünf Kubaner ihren Fall vor dem Obersten Gericht der Vereinigten Staaten gewinnen sollten, wäre ihr Fall noch lange nicht erledigt. Stattdessen würde es den Beginn eines neuen Verfahrens mit einer anderen Rechtsprechung als der von Miami bedeuten. Eine viel elegantere und raschere Lösung für ihre andauernde Gefangenschaft wäre die Anordnung des Präsidenten zur "Executive Clemency" [s. Übersetzung weiter unten, Anm.d.Ü.], die ihre unverzügliche Rückkehr nach Kuba erlauben würde.

POLITISCHE GEFANGENE?

Ein wichtiger Punkt der Diplomatie: widersprüchlich zwischen den beiden Ländern ist, dass es sich bei ihnen für Kuba um politische Gefangene hält, während die Fünf für die Vereinigten Staaten gewöhnliche Verbrecher sind.
Die kubanischen Behörden behaupten, die Fünf seien unschuldig der Spionageverschwörung und in einer feindseligen Umgebung unter Verletzung ihrer Verfassungsrechte verurteilt worden.
Die Streitpunkt, die Fünf als politische Gefangene einzustufen, ist besonders heikel, da Präsident Obama sicherlich die Folgerung, in den USA gebe es politische Gefangene, zurückweisen wird. Jedoch hat Barack Obama Kuba ständig dazu aufgefordert, seine politischen Gefangenen freizulassen, bevor es irgendeine Normalisierung der Beziehungen gebe.
Kuba seinerseits besteht darauf, dass seine eigenen Gefangenen Strafen auf der Insel absäßen, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hätten und keine politischen Gefangenen seien.
Ein direkter Gefangenenaustausch birgt das Risiko, dass in der Öffentlichkeit die Art der Vergehen gleichgesetzt werden, aber eine einseitige Geste, der von einer Geste der anderen Seite gefolgt wird, macht die Angelegenheit weniger kritisch.
Erneut weist uns die Geschichte den Weg aus der Sackgasse. Vor dem gegenseitigen Austausch von Gefangenen stolperten 1979 sowohl die Kubaner als auch die [US-]Amerikaner über den Gebrauch des Adjektivs "politisch" als Beschreibung der Gefangenen. Darum scheuten sie vor einem direkten Austausch zurück, der als stillschweigende Anerkennung der Auffassung, es gebe in beiden Ländern politische Gefangene, betrachtet werden würde.
In einem Brief an den Kongressabgeordneten Benjamin Gillman schreibt Brzezinski: "Wir weisen die Möglichkeit eines Gefangenenaustauschs zurück, da wir die Puerto Ricaner nicht als politische Gefangene betrachten . . . Jetzt, wo Präsident Carter entschieden hat, das Strafmaß für die Puerto Ricaner herabzusetzen, tritt für uns der Fall ein, dass Castro an der Reihe ist, sein Versprechen einzulösen." (9)
Der Schlüssel für eine gegenseitige Freilassung der Gefangenen ist es also, einen ursächlichen Gefangenenaustausch zu vermeiden und in "Geste-gegen-Geste"-Verhandlungen einzutreten.

DIE GEFANGENEN IN KUBA

Wenn die Obama-Administration Kuba gegenüber eine Geste machte, welche Geste könnte dann Kuba im Gegenzug machen? Welche Gefangenen könnte es befreien und in die Vereinigten Staaten schicken?
Miamis "El Nuevo Herald" zitierte kürzlich die Fälle verschiedener Gefangener in Kuba, die für die Vereinigten Staaten von besonderem Interesse sein könnten, einschließlich einiger, die im März 2003 dafür verhaftet wurden, dass sie unter der Anleitung und Kontrolle der US-Interessenvertretung in Havanna gearbeitet hatten, als auch andere kubanische Bürger, die in Kuba wegen Spionage einsitzen. (10)
Die Vereinigten Staaten können über diplomatische Kanäle signalisieren, welche der kubanischen Gefangenen Priorität besitzen. Das ist kein Problem.

DIE MACHT DER "EXECUTIVE CLEMENCY" [in etwa: Gnade, Milde oder Nachsicht durch die ausführende Gewalt, Anm. d. Ü.]

Die Macht, ein Strafmaß herabzusetzen, hat allein der Präsident. Das ist keine Begnadigung. Sie setzt lediglich die Zeit der Inhaftierung herab. Der Präsident muss weder die Urteile noch die angeblichen Verbrechen kommentieren. Er braucht die Milderung des Strafmaßes nicht mit Aktionen anderer Länder abzustimmen. Er ordnet einfach nur die Reduzierung der Strafe des Gefangenen an.

SCHLUSSFOLGERUNG

Erst als Kandidat und jetzt als Präsident hat Barack Obama bekannt gemacht, dass er an einer Verbesserung der Beziehungen mit Kuba durch direkte Diplomatie interessiert ist. Der Fall der Cuban Five ist eines der wichtigsten Hindernisse für jegliche Art der Annäherung der beiden Länder.
Wenn Präsident Obama die "Executive Clemency" anwendet und die langen Gefängnisstrafen der Cuban Five verkürzt, und damit deren Rückkehr nach Kuba und zu ihren Familien erleichtert, wäre das eine entscheidende Geste, die nach einer wechselseitigen Geste Kubas schließlich zu einer Normalisierung der Beziehungen beider Länder führen könnte.

José Pertierra ist Anwalt. Er vertritt die Regierung Venezuelas im Auslieferungsverfahren von Luís Posada Carriles. Sein Büro ist in Washington, DC.

Fußnoten:

(1) Raúl Castro marca su lógica a Washington, por Patricia Grogg, IPS, 20 de diciembre de 2008.
[siehe auch unter NEWS 2008, 19. Dezember auf dieser Website]

(2) Siehe TIME Magazin, Montag 1. Oktober 1979. "Ein diplomatischer Streitfall mit Kuba wurde letzte Woche beigelegt als Havanna vier Amerikaner aus seinen Gefängnissen entließ. Vor vier Jahren hatte Fidel Castro gesagt, dass sie freigelassen würden, wenn die USA vier puertoricanische Nationalisten freiließen, die im Gefängnis saßen, weil sie versucht hatten in den 1950ern Präsident Truman und leitende Mitarbeiter des Weißen Hauses zu ermorden. Carter hatte ihnen vor zwei Wochen "Clemency" gewährt. . . . Nach der Ankunft in Miami, hat einer der früheren Gefangenen, Lawrence Lunt, . . . bereitwillig zugegeben, er habe für die CIA spioniert,"

(3) That Infernal Little Cuban Republic: the United States and the Cuban Revolution [Diese höllische kleine kubanische Republik: Die Vereinigten Staaten und die Kubanische Revolution], von Lars Schoultz, University of North Carolina Press, Chapel Hill, 2009 Seite 324.

(4)Undatierter Brief von Zbigniew Brzezinski an John R. Standish, Begnadigungsanwalt für das Justizministerium. Zu finden auf den Seiten 267 und 268 von Band 2 der Futuros Alternos (Documentos Secretos) herausgegeben von Jaime Rodríguez Cancel und Juan Manuel García Passalacqua, EMS, 2007.

(5) ebenda

(6) Memorandum von Robert Pastor vom National Security Council an Zbigniew Brzezinski und David Aaron bezüglich Lolita Lebron, 26. September 1978. Futuros Alternos, ebenda, Seiten 228 und 229.

(7) Arbeitsgruppe für Willkürliche Inhaftierungen (UN-Menschenrechtskommission), Gutachten Nr. 19-2005, angenommen am 27. Mai 2005.

(8) Brief an den Kongressabgeordneten Benjamín Gillman, US House of Representatives, von Zgigniew Brzezinski. Siehe Futuros Alternos auf Seite 213.

(9) Memorandum von Zbigniew Brzezinski an Frank Moore bezüglich US-Gefangener in Kuba, siehe Futuros Alternos auf Seite 214.

(10) Abogados de espías cubanos no descartan "negociación política", [Die Anwälte der kubanischen Spione schließen "politische Verhandlungen" nicht aus] von Wilfredo Cancio Isla, El Nuevo Herald, 25.Januar 2009.

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

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