Interview des "Morning Star" mit Irma González

19. Oktober 2010

Bis zu ihrem Alter von sechs Jahren führte Irma González das Leben eines normalen Kindes. Sie lebte bei ihren Eltern und verbrachte die Wochenenden bei ihren Großeltern in Havanna. Doch plötzlich, im Dezember 1990, änderte sich alles.
"Ich wachte eines Morgens auf, und mein Papa war nicht da. Ich war daran gewöhnt, dass er für eine oder zwei Nächte weg war, aber diesmal kam er einfach nicht zurück."
Während sie heranwuchs, stellte sie die Erklärung nie in Frage, dass er "in Übersee studiert".
Briefe und Telefonanrufe alle paar Monate genügten, um die wissbegierigen Fragen einer Sechsjährigen zu befriedigen.
Trotz Olgas größter Bemühungen, ihre Tochter guten Mutes sein zu lassen, spürte Irma, dass etwas nicht stimmte.
"Ich sah, wie meine Mutter trauriger wurde. Sie versuchte zwar, für mich fröhlich zu sein, aber ihr war selber nicht wohl oder fröhlich zumute."
Sechs Jahre waren vergangen, da sagte Olga ihrer nun 12-jährigen Tochter im Dezember 1996, dass sie weggehen würden, um bei René in Miami zu sein.
"Mein Vater und ich waren, als ich jünger war, sehr mit einander vertraut, und als ich ihn wiedersah, war es, als ob die Jahre nicht verflossen wären. Er war noch genau der selbe Vater, so fesch, gesprächig und liebevoll, der er gewesen war, als er ging."
Was Irma nicht wusste, war, dass René die sechs Jahre ihrer Trennung damit verbracht hatte, terroristische Gruppen in Miami zu unterwandern, die Anschläge auf die kubanische Bevölkerung verübten.
Auch war ihr nicht klar, dass er 1990 ein Flugzeug entführt und Kuba zu verlassen hatte, um diese Gruppen davon zu überzeugen, dass er wirklich gegen die Kubanische Revolution wäre.
"Es pflegten in unserem Haus Treffen mit Männern abgehalten zu werden, die ich nicht mochte. Sie kamen zusammen, um Lügen zu erzählen und Pläne gegen Kuba zu schmieden.
Ihre Andeutungen lösten eine Menge Verwirrung in mir aus, da sie gegen alles angingen, was ich für wahr hielt.
Nach jedem Treffen sagten mir meine Eltern, ich solle mich nicht beunruhigen, es nicht ernstnehmen und an meinen eigenen Erinnerungen festhalten und an der Wahrheit, die ich über mein Land kenne.
Mit 12 bemerkte ich, dass es etwas gab, jenseits dessen, was ich über meinen Vater wusste. Er war nicht so verlogen und hasserfüllt wie die Männer, unter die er sich mischte. Aber ich wusste nicht, was er tat, und ich spürte, es sei besser, nicht zu fragen."
Auch in der Schule kam es für Irma zu Konflikten.
"Es machte mich wirklich verrückt, wenn die Kids die Lügen über Kuba wiederholten, die sie am Fernsehen gesehen hatten, insbesondere die Kids, die gerade von der Insel angekommen waren und wussten, dass es nicht stimmte, aber sie wiederholten es, um sich anzupassen.
Obwohl ich wütend war, sagte ich nicht, was ich eigentlich dachte.
Mein Vater gehörte zu der Lügen verbreitenden Gruppe, aber tief im Innern wusste ich, dass er ihnen nicht glaubte, und wenn ich in der Schule offen redete, könnte ich ihm Probleme machen, daher beschloss ich zu schweigen."
Nicht einmal zwei Jahre, nachdem sie nach Miami gezogen waren, wurde Irmas Vater wieder plötzlich und zwar gewaltsam von ihr fortgerissen. Diesmal waren es FBI-Agenten, die in ihre Wohnung stürmten und ihn am frühen Morgen des 12. Septembers 1998 verhafteten.
Während René im "Loch" gefangen gehalten wurde, wurden Irma und ihre Mutter von der Presse gejagt, weil sie Kommunisten seien. An ihre Haustür wurden Hammer und Sichel gesprüht, und Schulfreunde wurden von ihren Eltern angehalten, nicht mit ihr zu sprechen.
Da René sich weigerte, Auskunft über seine vier Kameraden zu geben, wurde Olga ausgewiesen, und so fand sich Irma 2000 zu Hause in Kuba wieder.
"Nach dem Prozess wurde der Fall zu Hause publik, und so begann ich fast unverzüglich damit, mich für ihre Freiheitskampagne einzusetzen und Dinge wie diese UK-Tour zu unternehmen.
Ich bin die Älteste von allen Kindern der Fünf - es gibt insgesamt sieben im Alter von 12 bis 26 - daher sprach ich in ihrem Namen, seit ich 16 bin."
Irma hat schon in vielen Ländern gesprochen, war aber besonders von einem Besuch in Angola berührt, wo René drei Jahre lang gegen die Streitmächte der Apartheid gekämpft hatte.
Sie hat mit Führungspersönlichkeiten der Welt gesprochen. Dazu gehörten Südafrikas Jacob Zuma und Venezuelas Hugo Chavez.
Sie pendelte zwischen der Kampagne und ihrer Laufbahn als klinische Psychologin hin und her. Sie lehrt auch klinische Psychologie an der Universität von Havanna.
"Die Kampagne bedeutet für uns Hoffnung. Es ist wichtig, etwas für jemanden, den man liebt, weiter zu tun und nicht nur einfach zu Hause zu warten, bis etwas passiert. Ich fühle mich nützlich, wenn ich für meinen Vater und meine vier Onkel eintrete. Es ist etwas, woran ich glaube, nicht nur an die Fünf, sondern auch an das, wofür sie stehen."
Obwohl Irma Antonio, Gerardo, Ramón oder Fernando nie getroffen hat, empfindet sie es so, als ob sie zu ihrer Familie gehörten und bezieht sich liebevoll als ihre Onkel auf sie.
"Wir sprechen am Telefon miteinander, und sie sind in unserem täglichen Leben ständig präsent, durch das Schreiben von Karten und Briefen zu Geburtstagen und besonderen Ereignissen."
René verbüßt wegen seiner Entlassung am 11. Oktober 2011 die kürzeste Strafe, obwohl er wahrscheinlich noch drei Jahre auf Bewährung in den USA bleiben muss. "Das wäre wirklich hart, denn er könnte dann dort meine Mama immer noch nicht sehen." Olga wurde von den US-Behörden 10 Mal ein Visum verweigert und ist gesagt worden, dass sie nie wieder eines beantragen solle.
"Wenn er freigelassen ist, wird er immer noch sehr traurig sein. Es ist kein Recht gesprochen worden. Er wird seine volle Strafe verbüßt haben und wird zu Hause keine echte Freiheit genießen, wenn seine Brüder immer noch im Gefängnis sind.
Die Situation ist schwer. Es vergeht ein Jahr nach dem anderen. Als ich mein Studium an der Universität begann, war ich sicher, dass mein Vater zurück sein würde, wenn ich es abgeschlossen hätte, doch so war es nicht. Die Kinder der Fünf werden erwachsen, und die Kinder, die Fernando und Gerardo hätten haben können, werden nie geboren.
Aber wir sind noch da, immer noch stark, immer noch kämpferisch. Und wenn wir solche Menschen wie euch sehen, die zusammen kommen, um zu helfen, gibt uns das wirklich Hoffnung und lässt uns lächeln."
Irma freut sich schon darauf, die Mahnwache der Cuba Solidarity Campaign heute Abend vor der US-Botschaft zu besuchen. In diesem Jahr werden folgende dabei sein: Tony Woodley, der gerade von seinem Besuch von Gerardo Hernández im Gefängnis zurück ist, Billy Hayes, Tony Benn, Bob Crow, Christine Blower und viele andere.
Die Fünf haben oft Bezug darauf genommen, im "Morning Star" über die britische Kampagne gelesen zu haben und haben ausdrückliche Grußbotschaften an die Mahnwache geschickt, die Irma heute Abend dort vorlesen wird.
"Es ist großartig, so viele Leute auftauchen zu sehen, die uns unterstützen und die mit so viel Engagement und Mut zu unseren Gunsten sprechen. Und die Fünf wissen von der Unterstützung im UK, und es hilft ihnen, stark zu bleiben.
Ich hoffe wirklich, dass, wenn ich beim nächsten Mal im U.K. bin, die Fünf dabei sind und euch persönlich für alles, was ihr getan habt, danken."

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb)

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