CounterPunch, 20. März 2013

Die kubanische Bloggerin und der "große böse Wolf"

Der merkwürdige Fall Yoani Sanchez

Von Benjamin Willis und Maria Isabel Alfonso

Die lange in den Vereinigten Staaten erwartete Ankunft von Yoani Sanchez wurde als Sieg für die Opposition in Kuba verkündet und als Beispiel dafür, wie bürgerliche Journalisten, wenn sie mit sozialen Medien bewaffnet sind, demokratischen Wandel in autoritäre Gesellschaften bringen können. Ein genauerer Blick auf die Umstände ihrer internationalen Reise und auf die unterschiedliche Aufnahme, die sie bisher in den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt gefunden hat, erzeugt mehr Fragen als Antworten.
Yoanis kometenhafter Aufstieg als "preisgekrönte" Bloggerin hat genau so viel Argwohn wie Bewunderung auf sich gezogen. Für ihren Blog, "Generación Y", setzten sich wegen ihrer ständigen Kritik an der kubanischen Regierung und deren Kontrolle über Meinungs- und Versammlungsfreiheit einige Mitglieder der kubanischen Exilgemeinde ein sowie gewisse opportunistische Akademiker und journalistische Kreise. Ihr konfrontativer Diskurs und ihre plumpe Verurteilung der offiziellen Linie Kubas ist ein "gefundenes Fressen" für große Teile der Exilgemeinde, während ihr Ruf nach freier Meinungsäußerung ein Zug ist, auf den Liberale leicht aufspringen. Doch nicht alle der historischen Exilgemeinde mögen ihre Aussagen. Die aufmüpfigste Fraktion hat ihre Kommentare vom Anbeginn ihrer Reise nachdrücklich missbilligt.
Ein geschichtliches Verständnis von Kubas Realität im Allgemeinen und dessen derzeitiger und vergangener Beziehung zu den Vereinigten Staaten im Besonderen hat etliche Intellektuelle, Journalisten und gewöhnliche Bürger dazu bewegt, ihre Motive und Mittel zu hinterfragen. Kaum jemals zuvor hat jemand mit so wenig Erfahrung und produktiver Leistung so schnell so viele internationale Auszeichnungen erhalten. Die Tatsache, dass so viele der Preise aus Ländern kommen, die eine aktive Umsturzpolitik gegenüber der kubanischen Souveränität verfolgen, kommt zu dem Ränkespiel um Yoanis Legitimität nur noch hinzu.
Salim Lamrani veröffentlichte am 19. Februar in "Opera Mundi ‚40 Fragen an Yoani Sanchez auf ihrer Welttour'" und viele von ihnen sind genau die Fragen, die man stellen muss, wenn man verstehen will, wie Yoani sich so große internationale Präsenz von einem Land aus verschaffen konnte, von dem sie wiederholt beklagt, dass es nur so begrenzten Internetzugang habe. Hier sind einige der von Lamrani gestellten Fragen:

13. Wie kann Ihr Blog Paypal akzeptieren, ein Zahlungssystem, das wegen der Wirtschaftssanktionen, die unter anderem auch den E-Kommerz betreffen, das für keinen Inselbewohner zur Verfügung steht?

16. Was versetzt Sie in die Lage, Ihre Domaine bei dem US-Konzern GoDaddy registrieren zu lassen, da dies doch nach den derzeitigen Wirtschaftssanktionen formell verboten ist?

17. Ihr Blog steht in 18 Sprachen zur Verfügung: Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch, Portugiesisch, Russisch, Slovenisch, Polnisch, Chinesisch, Japanisch, Litauisch, Tschechisch, Bulgarisch, Niederländisch, Finnisch, Koreanisch und Griechisch. Keine andere Website der Welt, nicht einmal die der bedeutenden Agenturen wie die der UNO, der Weltbank, des IWF, der OECD oder der Europäischen Union bietet dieses Maß an sprachlicher Unterstützung. Nicht einmal das US-Außenministerium oder die CIA bieten dieses Ausmaß an Zugang für Nicht- Englischsprechende. Wer finanziert die Übersetzungen?

18. Wie ist es möglich, dass die Seite für Ihren Blog eine 60 Mal größere Bandbreite bietet, als der Internetzugang den Kuba seinen Nutzern anbietet?

24. 2001 veröffentlichten Sie 400 Botschaften pro Monat. Der Preis für eine SMS aus Kuba beträgt 1,25 $. Daher geben Sie also 7.000 $ in einem Jahr für Twitter-Nutzung aus. Wer bezahlt das?

Als sie bei ihrem Besuch in der Journalistenschule der Columbia-Universität nach dieser Liste gefragt wurde, scherzte sie, dass die Liste, als sie in Brasilien war, schon auf fünfzig Fragen angewachsen war und dass sie diese schon alle beantwortet hätte. Obwohl diese Fragen für Yoani nicht einfach als rhetorische Fragen abgetan werden können, sollten sie aber von denkenden Menschen gestellt werden, wenn sie sich ihre Website und die Produktionsmethoden des "Team Yoani" ansehen.
Tatsächlich löste der erste Halt auf ihrer 80-tägigen "Phileas-Fogg-Tour" eine Menge von Fragen aus und Yoanis Antworten täuschten darüber hinweg, dass sie möglicherweise noch nicht "ready for primetime" [für die Hauptsendezeit bereit] war.
Bei ihrer Ankunft in Brasilien begegnete Yoani der mächtigen Realität, dass viele Bürger der Welt mit ihrer Geschichte nicht einverstanden sind. Sie wurde von brasilianischen Journalisten, Studenten und anderen Bürgern wegen ihrer Beschreibung der kubanischen Realität angegriffen, und insbesondere drei Fragen, drängten sie in ihren Antworten zu einem unmittelbaren Rückzieher.
Als sie zum US-Embargo gegenüber Kuba gefragt wurde, erklärte Yoani unmissverständlich, dass es eine interventionistische Politik und eine Rechtfertigung für die Fehler der kubanischen Regierung sei. Vor allem anderen betonte sie, dass diese Politik der wirtschaftlichen Strangulierung ein "Relikt aus dem Kalten Krieg" sei und so bald wie möglich ("Ya") aufgegeben werden müsse. Sie rief auch zur Schließung der Marine-Basis in der Guantanamo-Bucht auf, nicht zur Schließung des Konzentrationslagers, das so viel Schande über die Vereinigten Staaten gebracht und unsere Forderung nach ordentlichen Gerichtsverfahren ausgelöst hat, sondern die derzeitige Basis, die eine Verletzung der kubanischen Souveränität darstellt. Letztlich rief sie zur Freilassung der als die "Cuban Five" bekannten kubanischen Agenten auf, indem sie argumentierte, die kubanische Regierung habe einen unnötig großen Bestandteil ihres Budgets für die Kampagne zu deren Freilassung ausgegeben.
Als sie mit Kubanern aus Miami konfrontiert wurde, die erbost über solche Äußerungen waren, begann Yoani zurückzurudern und sagte, ihre Kommentare zu den Cuban Five seien "ironisch" gewesen und sie glaube nicht, dass sie unschuldig sind. Diese Rechtfertigung ist ein Problem für ihre Position.
Zum Beispiel, jetzt, nachdem sie in den Vereinigten Staaten angekommen ist, hat sich ihre Ansicht über das Embargo und Guantánamo zu einer ängstlichen Verallgemeinerung abgeschwächt, und zwar dahingehend, dass es einen "Dialog" über diese Angelegenheiten geben sollte. Warum ist sie jetzt für einen Dialog, statt die Beendigung einseitiger Sanktionen zu fordern, wie sie es in Brasilien getan hat. Warum prangert sie nicht auch das interventionistische Pogramm von USAID an, das speziell auf "Regimewechsel" in Kuba ausgelegt ist? Warum wurden diese Fragen in New York nicht gestellt, oder genauer gesagt, warum ließen die Institutionen und Akademiker diese Fragen nicht zu? Die "Hüter" an der NYU und in Columbia zeigten eine Tendenz, bei den an Yoani gerichteten Fragen sich die "Rosinen herauszupicken". Warum geschieht so etwas in dem angeblich freiesten Land der Erde? Es gab Proteste und Wutausbrüche in ihren Meetings, aber es wurde keine direkte Herausforderung zugelassen, die sie in die Lage versetzt hätte, ihre wechselnden Ansichten über so wichtige Themen zu erklären.
Jetzt hat sie ihren Wunsch erklärt, eine unabhängige Online-Zeitung nach ihrer Rückkehr auf die Insel zu etablieren. Oberflächlich erscheint diese Idee löblich und ist längst überfällig, um eine Zivilgesellschaft in Kuba zu stärken. Aber wenn man in Ruhe über die grundlegenden Voraussetzungen über den Aufbau einer solchen Organisation nachdenkt, hat das zur Folge, dass man noch einige weitere Fragen an Yoani der bereits langen Liste hinzufügen muss.
Eine Person hielt in New York ein Schild hoch mit der Aufschrift: "Die Presse ist nicht frei, sie ist nur wertlos". Wir leben in einer Zeit, in der nahezu jede Zeitung ums Überleben kämpft, und in der die Vorherrschaft der Eigentümerkonzerne der Radiofrequenzen, Websites und was noch von den Druckmedien übrig ist, nahezu vollständig ist. Die wenigen verbliebenen unabhängigen Nachrichtenquellen sind sehr stark abhängig von Spenden und Subskriptionen ihrer Unterstützer und Kunden. Auch kommt die Hauptfinanzierung aus Bundesmitteln. Sogar Wikileaks und Counterpunch hängen von Spenden ab. Es ist nichts Falsches an dieser Art der Unterstützung, aber in Kuba gibt es einfach keine finanziellen Ressourcen für diese Art der Publikation mit inländischen Fonds. Höchst wahrscheinlich wir sie keine Hilfe von der kubanischen Regierung bekommen. Also mit anderen Worten, die Idee einer unabhängigen Nachrichtenquelle in Kuba, muss in Ermangelung anderer Möglichkeiten mit ausländischen Investitionen finanziert werden. Darum ist bei einem solchen Projekt von Anfang an die Bezeichnung "unabhängig" ein fragwürdiges Merkmal. Spenden sind für so ein Unternehmen eine legitime Einnahmequelle, solange sie nicht mit Zwängen verbunden ist.
Ist Yoani so unabhängig wohlhabend durch die Geldpreise, die sie auf dieser Reise einsammeln will, dass sie so eine Unternehmung finanzieren kann? Die Regeln des US-Embargos erlauben keine körperschaftliche Kontrolle aus den USA und würden wegen der extraterritorialen Auswirkungen des Helms-Burton-Gesetzes einen ausländischen Konzern ernsthaft davon abhalten, die digitale Publikation zu unterstützen.
Wird sie in einer ironischen Schicksalswende von absolutem Kommunismus abhängen, um so eine Zeitung zum Erfolg zu bringen? Werden ihre Angestellten und Gesellschafter den ganzen Tag kostenlos arbeiten, um ein solch ambitioniertes Projekt zur Erfüllung zu bringen? Nur im kommunistischen Kuba wäre so etwas möglich.
Am letzten Dienstag wurde Yoani nach Washington D.C. eingeladen, um dort Kongress-Mitglieder zu treffen und vor dem Cato Institut zu sprechen, wo sie erneut die Notwendigkeit wiederholte, das Embargo zu beenden. Aber statt das Embargo als offensichtliches Hindernis für die Entwicklung ihres Volkes zu benennen, nennt sie es eine "Entschuldigung" und behauptet am Cato Institut: "Ich möchte sehen, wie der Propagandaapparat ohne diesen großen bösen Wolf funktioniert. Ich zweifle, dass das geht."
Die Anspielung auf den "großen bösen Wolf" mag den Leser daran erinnern, dass es sich nicht um den Wolf aus der Fabel "Der Hirtenjunge und der Wolf"*) [im Englischen als Synonym für Fehlalarm benutzt] handelt, sondern um eine gefährliche Landplage, die wiederholt kam, um das Haus und das Leben der drei kleinen Schweinchen zu zerstören. Das ist genau das, was das Embargo angerichtet hat. Es hat Leben, Häuser und Infrastruktur der kubanischen Nation zerstört, während spöttisch versprochen wird, dass es "Demokratie" fördere und ausgelegt sei, denen zu helfen, denen es schadet.
Wenn diese zynische Argumentation es ist, um das Embargo abzubauen, dann mehr Macht für sie. Das Embargo mag eine Krücke für die kubanische Regierung sein, auf der sie sich abstützen kann, aber es hat auch reale Einflüsse auf die Inselbevölkerung, und Yoani kann nicht behaupten, eine Sprecherin für ihr Volk zu sein, wenn sie diese offensichtliche Tatsache nicht artikulieren kann.
Trotz ihres lauwarmen Arguments für die Aufhebung des Embargos, war sie mehr als erfreut, sich mit genau der kubanisch-amerikanischen Fraktion des Hauses getroffen zu haben, die alles in ihrer Macht stehende getan hat, um diese Politik fortzusetzen, und die im Gegenzug mehr als froh war, vor ihr zu katzbuckeln. Ihr bis in die Eingeweide reichender Hass auf die kubanische Regierung ist genug für sie, um ihre Uneinigkeit über die "Effektivität" des Embargos zu übersehen. Wird Yoani fordern, dass die Vereinigten Staaten das Embargo aufheben und die Finanzierung von Operationen für den Regimewechsel einstellen, die normale kubanische Bürger in Gefahr bringen? Wird sie, während sie in den USA ist, Präsident Obama dazu aufrufen, Kuba von der Liste der staatlichen Terrorunterstützer zu streichen?
Im April soll sie in Miami auftreten, wo ihre Arbeit gewürdigt werden wird. Sie wird mit einer Medaille ausgezeichnet und soll im fragwürdig als "Torre de la Libertad" [Freiheitsturm] benannten Gebäude sprechen. Wird sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen und dem Publikum, dem die schlimmsten Hardcore-Anti-Castro-Cubano-Amerikaner angehören, erzählen, dass das Embargo eine interventionistische Politik darstelle und beendet werden müsse, Ya! Dass die Cuban Five befreit werden müssten und dass die US-Marinebasis in Guantánamo geschlossen werden und das besetze Land an Kuba zurückgegeben werden müsse? Wird sie sich gegen die historische Unterdrückung der Meinungsvielfalt innerhalb der Gemeinde gegen ehrenhafte Personen aussprechen, wie den kürzlich verstorbenen Francisco Aruca, einem Opfer von Bombendrohungen, anderen abscheulichen Gewalttaten und Rufmord? Wird sie die Gewalttaten anprangern, die von der radikalen Fraktion in Miamis Exilgemeinde begangen wurden, wie der Bombenanschlag auf Flug 455 der Cubana 1976 und andere himmelschreiende Terrorakte, die mit so abscheulichen Charakteren wie Orlando Bosch und Luís Posada Carriles verbunden sind? Wird sie Marco Rubio fragen, ob er es ernst gemeint habe, als er Kuba mit einem Zoo verglich?
Wird sie mit der gleichen Überzeugung, wie sie es in Kuba tut, für ein Miami plädieren, das Pluralismus und Meinungsfreiheit duldet? Oder wird sie ein Opfer ihrer eigenen Selbstzensur?

Benjamin Willis ist Musiker.

Maria Isabel Alfonso, PhD. ist außerordentliche Professorin am St. Joseph's College in New York. Sie sind verheiratet und ziehen ihren neun Monate alten Sohn in "Queens on malanga, Los Van Van, and baseball" auf. Sie sind Gründungsmitglieder von CAFE, Cuban Americans for Engagement. Erreicht werden können sie unter benjamin@cafeporcuba.com und isabel@cafeporcuba.com.

*) Wikipedia: Der Hirtenjunge und der Wolf, auch bekannt als Der Schäfer und der Wolf, ist eine Fabel, die Äsop zugeschrieben wird.
Die Hauptperson der Fabel ist ein Hirtenjunge, der aus Langeweile laut "Wolf!" brüllt. Als ihm daraufhin Dorfbewohner aus der Nähe zu Hilfe eilen, finden sie heraus, dass falscher Alarm gegeben wurde und sie ihre Zeit verschwendet haben. Als der Junge kurz darauf wirklich dem Wolf begegnet, nehmen die Dorfbewohner die Hilferufe nicht mehr ernst und der Wolf frisst die ganze Herde (und in manchen Versionen auch den Jungen).

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: CounterPunch vom 20. März 2013)

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