1. Oktober 2014, CounterPunch

Zeit der Trauer

Terror in Lateinamerika und der Karibik

Von W.T. Whitney Jr.

Der kubanische Nationalheld José Martí bezog sich auf das Land zwischen dem Rio Grande und der Magellan-Straße als "Unser Amerika". In einem Essay, den er 1892 unter diesem Titel veröffentlicht hatte, hob er die Grenze des Rio Grande als eine Scheide zwischen den Völkern und ihrer eigenen Geschichte, Kultur und Zukunft hervor, die im krassen Gegensatz zu der Industrialisierung im Norden stand, was nichts Gutes versprach.
Tatsächlich sollten U.S.-Agenten oder deren Bevollmächtigte bald Kummer und Verzweiflung säen. Anfang des 20. Jahrhunderts lösten sie militärische Überfälle aus. Danach hinterließen weniger offensichtliche Interventionen ihre Terrorspur.
Jahrestage im September und Oktober - eine Zeit der Trauer in "Unserem Amerika" - erinnern an Mord und Schwerverletzte. Man fragt sich: Kann internationale Solidarität Opfer verhüten? Wer in Nordamerika, dem Epizentrum der Terroranschläge, wird den Job übernehmen?
Am 9. September 1954 flüchtete der entmachtete guatemaltekische Präsident Jacobo Arbenz ins Exil. Drei Monate zuvor hatte sich die CIA mit der reichen Elite Guatemalas verbündet, um einen Militärputsch einzufädeln. Der Bürgerkrieg zwischen den linken Aufständischen und der des von der CIA unterstützten guatemaltekischen Militärs dauerte drei Jahrzehnte und kostete 200.000 der meist Ureinwohner und armen Guatemalteken das Leben.
Am 11. September 1973 stürzte das chilenische Militär den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Bei der Ansprache vor Beamten, die gegen Allendes drei Jahre zuvor erfolgte Wahl Umsturzpläne schmiedeten, stellte der Direktor des Nationalen Sicherheitsrates Henry Kissinger fest: "Ich sehe nicht ein, warum wir dazu bereitstehen und tatenlos zusehen sollen, wie ein Land wegen der Verantwortungslosigkeit seiner eigenen Bevölkerung kommunistisch wird."
Die Regierungspartei Präsident Allendes, der "Popular Unita" [Einheit des Volkes], ein Sammelbecken aus verschiedenen linken Parteien, sah sich einer von den USA unterstützten und finanzierten Destabilisierungskampagne konfrontiert. Ein dem Putsch folgendes Regime tötete angeführt von Augusto Pinochet über 3.000 Chilenen und verfolgte und folterte Tausende weitere.
Am 21. September 1976 starben der im Exil lebende Kollege von Orlando Letelier und seine Assistentin Ronni Moffit bei einem Autobombenanschlag in Washington. Letelier war Botschafter in den Vereinigten Staaten, Außenminister und Verteidigungsminister gewesen. Der Hauptverantwortliche für das Attentat war U.S.-Bürger, CIA-Angestellter und chilenischer Geheimdienstagent Michael Townley. Mittäter waren drei Exilkubaner, die mit der CIA und dem U.S.-Außenminister Henry Kissinger in Verbindung standen, der U.S.-Diplomaten in Südamerika instruiert hatte, staatlich-gesponserte Mordanschläge zu dulden sowie auch kubanische Exilanten und CIA- Mordgesellen wie Luis Posada Carriles und Orlando Bosch. Posada und Bosch leiteten CORU, eine Organisation, die Morde im Auftrag der Regime von Südamerika ausführte.
Am 6. Oktober 1976 stürzte ein kubanisches Zivilflugzeug nach Abflug von Barbados ab. Posada und Bosch hatten eine Sprengstoffexplosion arrangiert. Alle an Bord, Passagiere und Crew, starben. Damals leitete Posada unter Schirmherrschaft der CIA Venezuelas Geheimdienst DISIP. Die beiden Verbrecher fanden Zuflucht in Miami.
Am 12. September 1998 verhafteten FBI-Agenten in Miami die kubanischen Agenten, Gerardo Hernández, Antonio Guerrero, Ramón Labañino, Fernando González und René González. Seitdem als die Cuban Five bekannt hatten sie private paramilitärische Gruppen beobachtet und über sie berichtet, die in Florida für ihre Terroranschläge auf Kuba bekannt sind. Es folgte ein parteiisch-geführter Prozess mit grausamen Strafurteilen.
Am 11. September 2001 brachte ein Anschlag aus der Luft die Twin Towers in den Vereinigten Staaten zum Einsturz und tötete 2.977 Menschen. Präsident George W. Bush teilte bald darauf dem versammelten Kongress mit: "Wir werden die Nationen, die dem Terrorismus Hilfe und Unterschlupf bieten, verfolgen. Jede Nation und jede Region muss jetzt eine Entscheidung treffen. Entweder seid ihr mit uns oder mit den Terroristen."
Tatsächlich hatte sich die U.S.-Regierung selbst schon "mit den Terroristen" in "Unserem Amerika" verbündet. Wie bei früheren Interventionen tat sie es, um die soziale Entwicklung aufzuhalten. Die U.S.-Heuchelei war offensichtlich: Die offiziellen Erklärungen drückten zwar Schrecken aus und drohten mit Vergeltung, doch die Opfer in "Unserem Amerika" kannten bereits den Schmerz des Terrorismus, nämlich den vonseiten der USA.
Der Antikommunismus diente als Vorwand für ausländische Interventionen. Aber die Begründung machte wenig Sinn, nachdem der Sozialismus in Russland und Osteuropa 1990 - 1992 verschwunden war, und der "Sieg über den Kommunismus" ausgerufen wurde. Die Angriffe vom 11. September 2001 waren nützlich für die Einführung einer neuen Allerwelts-Rechtfertigung. Fortan wurden ins Visier genommene Feinde als "Terroristen" bezeichnet.
Von 1964 an z.B. wandelte sich der Grund für die Unterstützung Kolumbiens durch die US-Regierung von Antikommunismus zu Drogenhandel, zu einem Krieg gegen den Terror.
In Paraguay betrieben die Vereinigten Staaten einen Luftstützpunkt, setzten Soldaten ein - seltsamerweise in einer "medizinischen Mission" - und im Frühjahr 2014 bauten sie unter Federführung des Southern Command ein "Zentrum für Notoperationen" auf. Sein Standort im Department San Pedro befindet sich in der Nähe des Drogenhandelsplatzes Ciuadad del Este, angeblich einer "Basis für die Finanzierung islamischen Terrors". Die marxistisch orientierte paraguayische Volksarmee, die als "terroristische Gruppe" bezeichnet wird, operiert ganz in der Nähe.
Das US-Außenministerium verurteilt Kuba für dessen "Unterstützung von Aktionen des internationalen Terrorismus’. Diese Bezeichnung wurde ein Werkzeug um die Schikanen gegen Kuba zu rechtfertigen. Paradoxerweise wird Kuba des Terrorismus’ beschuldigt, während es sich mit der Bedrohung durch Terror aus den Vereinigten Staaten auseinandersetzen muss. Im Mai verhafteten die Behörden dort vier kürzlich eingereiste Einwohner aus dem Gebiet Miamis, die angeblich Terroranschläge planten.
Der Fall der Cuban Five, der Verteidiger gegen den Terror, beleuchtet die Ansicht von den "guten Terroristen" und den "schlechten Terroristen". Anscheinend sind die gewalttätigen Gangster, die von den Fünfen beobachtet wurden, für US-Staatsanwälte akzeptable Terroristen, ebenso wie die durchtriebenen US-Agenten in Guatemala und Chile.
Der weitblickende José Martí beschuldigte die USA der annexzionistischen Bestrebungen und sah die Bestrafung Kubas für seine Unabhängigkeit vorher. Als Gegenmittel empfahl er den Zusammenschluss der Nationen "Unseres Amerikas" in Solidarität und gegenseitiger Unterstützung. Jetzt, lange nach Martís Tod auf dem Schlachtfeld während Kubas zweitem Unabhängigkeitskrieg, schreitet die Integration voran. Die Allianzen haben sich stark vermehrt.
Am 18. September 2014 kündigte die panamaische Außenministerin Isabel de Saint Malo an, dass Kuba zum siebten Gipfel der Amerikanischen Staaten eingeladen werde, das von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) organisiert wird und im April 2015 in Panama stattfindet.
Die US-Regierung etablierte die OAS 1948 als Werkzeug des Kalten Krieges. Im Einklang mit dieser Mission schloss die OAS das revolutionäre Kuba 1962 aus. Jetzt ist die Rebellion innerhalb der OAS wegen Kuba eine große Nachricht, der Ausschluss Kubas versinnbildlicht den Grund für die Existenz der OAS. Vielleicht wird diese neue Dynamik US-Terrorpläne in der Region entmutigen.
Aber nicht notwendigerweise: gegenwärtig sieht sich das US-Imperium mit der Kraft von Martís guter Idee konfrontiert. Aber Martí, der mit der Arbeiterklasse sympathisierte, mit Menschen afrikanischer Abstammung, ließ niemals die Ansicht außer Acht, dass die Interessen der Armen und Marginalisierten in allen sozioökonomischen Klassen innerhalb der Nation, die er zu schaffen hoffte, vertreten würden. Er hatte den Konflikt zwischen zwei großen sozialen Klassen satt. Die Reichen und Mächtigen in "Unserem Amerika" haben Bindungen, echte oder eingebildete, zum kapitalistischen Riesen im Norden.
Im Gegensatz fühlen sich arbeitende Menschen sicherer untereinander, ob zu Hause oder jenseits internationaler Grenzen, als sie sich unter den großen Machern fühlen. Die Arbeiter in den Vereinigten Staaten wissen, dass, was immer dem globalisierten kapitalistischem System dient - Ausbeutung und Beherrschung in "Unserem Amerika" - die Ausbeuter zu Hause stärkt und nicht gut für sie ist. Es macht Sinn für sie, sich den Kämpfen der arbeitenden und marginalisierten Menschen anzuschließen. US-Arbeiter sollten kollektive Aktionen ergreifen, um die Unterstützung der Militarisierung und Terrorregime durch die USA zu blockieren.
Es wäre gut ein rudimentäres, leichtverständliches Rezept nach dem Vorbild der revolutionären Kämpfe des 19. Jahrhunderts in Europa zu befolgen: "Arbeiter aller Länder vereinigt euch." Seitdem hat die Aussicht auf Einigkeit der Arbeiter die Machthaber in Schrecken versetzt.

W.T. Whitney Jr. ist ein pensionierter Kinderarzt und politischer Journalist aus Maine

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: CounterPunch, 1. Oktober 2014)

Zurück