Guernica, 21. März 2016

Hyatt Bass: Lektionen aus Kubas Inhaftierungsmodell

Ein Gespräch zwischen der geschäftsführenden Direktorin der "Correctional Association" [Gesellschaft für Verbesserungen in US-Gefängnissen] von New York, Soffiyah Elijah und der Autorin Hyatt Bass.

Im vergangenen Sommer reiste ich zum ersten Mal nach Kuba und dies ausgerechnet, um etwas über seine Gefängnisse zu erfahren. Während meine voreingenommenen Vorstellungen davon hauptsächlich auf Reinaldo Arenas wortgewaltigen Memoiren "Before Night Falls" [Bevor die Nacht kommt] und deren filmischer Adaption von Julian Schnabel beruhten, die beide ein sehr düsteres Bild von Arenas Hafterfahrung in Kubas berühmtem Gefängnis "El Morro" Mitte der 1970er Jahre zeichneten, bestand die Absicht meiner Reise nach Havanna darin, etwas über mögliche Lösungen für unser eigenes, sehr zerrüttetes Strafrechtssystem in den USA zu lernen.

Ich kam mit einer Gruppe von New Yorkern, die auf dem Gebiet der Strafrechtsreform arbeiten und von Soffiya Elijah, der Direktorin der "Correctional Association" (CA) von New York, angeführt wurde. Als einzige private Organisation des Staates mit unbeschränktem Zugang zu Gefängnissen unternimmt sie Routine-Inspektionen innerhalb von ganz New York, berichtet der Öffentlichkeit über ihre Befunde und Empfehlungen und tritt für humanere Bedingung im Strafrechtssystem ein.

In Havanna traf sich unsere Gruppe mit kubanischen Anwälten, Richtern des Obersten Gerichtshofs und aus der Provinz, Sozialarbeitern, Pädagogen und Regierungsbeamten, um etwas über kubanische Politik und Praxis hinsichtlich Gerichtsverfahren, Behandlung und der Inhaftierung von Menschen, über Jugendstrafrecht, Rehabilitation und Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erfahren. Kürzlich haben dann Soffiyah und ich erörtert, was wir auf unserer Reise gelernt hatten und was sie während der letzten drei Jahrzehnte aus dem Studium des kubanischen Systems gelernt hatte.

- Hyatt Bass im Auftrag von "Guernica Daily"

Guernica: Wie erfuhren Sie ursprünglich vom kubanischen Strafrechtssystem und was bewog Sie dazu, sich dazu zu entschließen, es zu studieren?

Soffiyah Elijah: Damals, Ende der 1960er, unternahm ich mit der "National Lawyers Guild" eine Reise nach Kuba. Ich hatte nie ein Interesse daran gehabt, nach Kuba zu gehen. Doch auf dieser ersten Reise hatte ich die Chance, ein Männergefängnis zu besichtigen, und ich fühlte mich regelrecht von dem allen erschlagen, was sich so sehr von meinen Erfahrungen als Strafverteidigerin bei den Besuchen meiner Klienten in den Vereinigten Staaten unterschied.

Als wir bei der Einrichtung vorfuhren, hielt ich nach dem Ausschau, was ich von zu Hause gewöhnt war: hohe Mauern, viel Stacheldraht, Wachtürme, Wachen mit Waffen im Anschlag. Und ich sah nichts davon. Wir fuhren auf ein Gebäude zu, das wie eine große Grundschule aussah, und als wir es betraten, gab es dort keinen Metalldetektor, woran ich auch überhaupt nicht gewöhnt war. Und niemand kontrollierte meine Tasche, um nach Waffen oder Schmuggelware zu suchen, und es gab keine Eintragung in ein Buch, also, nichts von dem, was ich bei Betreten eines Gefängisses in den Vereinigten Staaten gewohnt war.

Und dann verkündete unser Führer, dass wir, sagen wir, so zwei bis drei Stunden Zeit für die Einrichtung hätten und dass wir die Besichtigung mit ihm gemeinsam machen könnten, aber nicht darauf festgelegt seien, bei einer geführten Besichtigung zu bleiben. Daher wanderte ich mit einer Gruppe anderer Leute ohne den Führer einfach in dem Gefängnis umher und saß in den Räumen der Menschen auf ihren Etagenbetten und redete mit ihnen, und wir gingen buchstäblich, wohin wir auch wollten, und das war eine völlig andere Erfahrung als jede, die ich in den Vereinigten Staaten gemacht hatte. Auch als jetzige geschäftsführende Direktorin der "Correctional Association", mit gesetzlicher Befugnis Gefängnisbedingungen zu überwachen und in die Einrichtungen in New York zu gehen, nehmen wir an keiner ungeführten Besichtigung irgend einer Einrichtung teil. Es ist genau vorgeschrieben, wohin wir gehen, und wir werden während des ganzen Besuchs immer von Gefängnispersonal begleitet.

- Es gibt dort die Dämonisierung und Typisierung nicht, die es bei uns gibt, wo inhaftierte Menschen so verfemt werden wie Unberührbare. -

Im folgenden Jahr gingen wir in ein Frauengefängnis in Kuba, und sie führten dort ein Kabarett auf. Ich erinnere mich, in einem Auditorium von Hunderten von Leuten gesessen zu haben, und es gab darunter Gefängnispersonal und Leute aus der Gemeinde, und die Inhaftierten spielten in Kostümen gemeinsam auf der Bühne. Niemand, außer dem Aufsichtsbeamten der Einrichtung, trug Uniform.
Also, was meinen Verstand aufwirbelte, war, dass beide Erfahrungen dafür sprachen - die Bauart und Anlage der Gefängnisse, dass niemand Uniform trug, die Überschneidungen, die es zu den Leuten aus der Gemeinde gab, dem Personal und den Leuten, die ihre Zeit absitzen -, dass das, was ich hier letztendlich erfuhr, eine völlig andere Einstellung zu den Menschen war, die nun mal wegen Verbrechen verurteilt worden sind. Es gibt dort die Dämonisierung und Typisierung nicht, die es bei uns gibt, wo inhaftierte Menschen so verfemt werden wie Unberührbare.
Ich bin die Letzte, die sagen würde, dass die beiden kubanischen Gefängnisse, in denen ich war, für alle Gefängnisse des Landes sprechen können. Das könnte ich nicht sagen. Aber ich kann sehr eindeutig über das sprechen, was ich gesehen und erfahren habe. Und ich nehme nicht an, das US-System könnte in so etwas umgewandelt werden, was ich in diesen beiden Gefängnissen sah. Das erschiene mir zu weit hergeholt. Doch es hat eindeutig eine völlig andere Atmosphäre geschaffen, als die, an die ich gewöhnt bin.

Guernica: Welche der Praktiken haben Sie am kubanischen System am meisten beeindruckt?

Soffiyah Elijah: Der kubanische Ansatz beim Jugendstrafrecht hält sich weit mehr an das Verständnis von der Gehirnentwicklung und an die Notwendigkeit, Jugendliche anders zu behandeln als Erwachsene. Jugendliche werden dort in einer Art Internatsschule untergebracht. Wissenschaftliche Forschung hat bewiesen, dass die Hirnregion, die für die Impulskontrolle zuständig ist, die Frontallappen sind. Dies ist der letzte Teil des Gehirns, der sich voll entwickelt und zwar ist er nicht vollständig entwickelt, bevor man Mitte bis Ende zwanzig ist. Meist resultiert kriminelles Verhalten aus impulsivem Handeln. Daher muss ein rationaler und aufgeklärter Zugang zum Jugendstrafrecht die verminderte kriminelle Verantwortlichkeit berücksichtigen, die man jungen Leuten zubilligen sollte.

Auch wird den Leuten die Möglichkeit gegeben zu arbeiten, während sie inhaftiert sind, und dafür die gleiche Bezahlung zu bekommen, die sie in der Freiheit bekommen hätten. Und wenn sie entlassen werden, bemüht man sich, ihnen eine analoge Stelle anzubieten, auf der sie das machen können, was sie Drinnen gearbeitet haben. Es gibt ein Entlassungsprogramm, das ein Strafurteil wesentlich verkürzen kann.
Was mich auch noch verblüffte, war der Heimaturlaub. Sie hatten keine Gefängnisse der geringen, mittleren oder höchsten Sicherheitsstufe. Die Unterscheidung zwischen den Sicherheitsstufen wurde damit getroffen, wie oft man Urlaub bekam, um über das Wochenende nach Hause zu gehen. Daher könnte eine Person mit niedriger Sicherheitsstufe drei Mal im Monat Heimaturlaub erhalten. Eine der höchsten Sicherheitsstufe erhält dann nur einmal im Monat Heimaturlaub. Und das war sehr, sehr verschieden von dem, was ich hier gewohnt war. Wir haben verschiedene Einrichtungen für die unterschiedlichen Sicherheitsstufen, und Heimaturlaube sind im gesamten US-Gefängnissystem unüblich.

- Wir wertschätzen Menschen nicht auf die gleiche Art in den Vereinigten Staaten. Wir wollen die Leute auf ein Förderband setzen, mit dem wir sie zuerst vor Gericht befördern, dann ins Gefangenenabseits, weg von Wiedereingliederung, zurück in die Kriminalität, zurück nach Drinnen, ohne über den Langzeitschaden nachzudenken, den wir ihnen zufügen. -

Guernica: Ich erinnere mich, dass uns gesagt wurde, dass die inhaftierte Person Zivilkleidung tragen und nach Hause zu seiner oder ihrer Familie in Begleitung einer Wache, die ebenfalls Zivilkleidung trägt, gehen könne. Außerdem gebe es, während jemand inhaftiert ist, einen Sozialarbeiter, der die Familie regelmäßig besucht, um sicherzustellen, dass es den Ehegatten, Eltern und/oder Kindern während der Abwesenheit der Person gut geht.

Soffiyah Elijah: Ein totales Unterstützungssystem. Und in Kuba wirst du, unabhängig davon welches Verbrechen du begangen hast, wenn du inhaftiert werden sollst, in der Provinz inhaftiert, in der du wohnst, um engen Familienkontakt zu erleichtern, was hier etwas völlig Fremdes ist.

Guernica: Was denken Sie, welches große Hindernis stünde uns im Wege, etwas von diesen Dingen in den USA zu tun?

Soffiyah Elijah: Um wirklich verstehen zu können, warum das System so grundverschieden ist, müssen wir einen großen Schritt zurück machen, um uns den Ursprung der Einflussfaktoren anzusehen. Gefängnisse in den USA sind an Gewinnquoten geknüpft. Und in Kuba sind Gefängnisse daran gebunden, und die Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, Menschen wertzuschätzen. Daher ist alles, was sie tun, von der Ausbildung bis zu der Tatsache der kostenlosen Gesundheitsversorgung bis hin zu der Gesamteinstellung dazu, jemanden inhaftieren zu müssen, damit verbunden, wie wir am meisten aus einem Individuum machen können, denn es besteht die Ansicht, dass der Mensch die kostbarste Ressource des Landes sei.
Wir wertschätzen Menschen in den Vereinigten Staaten nicht auf die gleiche Art. Wir wollen die Leute auf ein Förderband setzen, das sie zuerst vor Gericht bringt, dann ins Gefangenenabseits, weg vom Wiedereintritt, zurück in die Kriminalität, zurück nach Drinnen, ohne über den Langzeitschaden nachzudenken, den wir ihnen zufügen, nicht nur dieser Person, sondern auch ihrer Familie, ihrer Gemeinde und zuletzt unserer Gesellschaft. Erst jetzt beginnt ein Dialog darüber, unsere Denkungsart über solche Dinge ein kleines Bisschen zu verändern, und traurigerweise ist das, was sie drängt, anders darüber zu denken, darauf gerichtet, wie hoch die finanziellen Kosten sind. Jetzt könnte jemand sagen, gut, ich meine, die Kubaner richten sich auch daran aus. Doch sie gingen nie diesen Weg, über das Einlochen von Menschen die Wirtschaft zu ruinieren. Ihr ganzes System ist daran ausgerichtet, was der kürzest notwendige Zeitraum sein kann, wenn jemand inhaftiert werden soll, und welche Mittel müssen wir dieser Person um sie herum anbieten, um ihr zu der Erfahrung zu verhelfen, die ihr den Weg ebnet, nie mehr zurück zu kommen.

Guernica: Da Sie von der Wertschätzung des Menschen in Kuba sprechen, ich habe dies so stark empfunden, als ich dort war. Aber es ist schwer, darüber zu sprechen, wenn man zurück kommt, denn die Leute sehen einen so an, als hätte man den Verstand verloren. Sie sagen dann: "Du hast wirklich vom "Kool-Aid" getrunken." ["Kool-Aid", ein Getränkekonzentrat, das im US-Sprachgebrauch für unkritische Propaganda-Aufnahme steht].

Soffiyah Elijah: Ja, viel zu oft, wenn ich erzähle, dass ich diese Arbeit in Kuba gesehen habe, wenden sich die Leute ab. Und ich kann es nicht erzählen, es ist fast wie ein Tabu. Aber es kann nicht die gesamte Gesellschaft vorgeführt werden. Richtig? Es ist eine andere Kultur, eine andere Lebensauffassung. Eine Sache, die ich wirklich interessant finde in Kuba, egal in welchem Teil des Landes man gerade ist, ob die Menschen sehr, sehr arm oder einen besseren Lebensstandard haben, Sonntag abends, an einem heißen Abend, sieht man Massen von Familien spazieren gehen, sie machen nur einen Bummel - die Kinder, die Eltern - ganz friedlich, aber es ist eine sehr liebevolle und zusammenhaltende Aktivität. Und ich meine, das ist nicht in einem Land, in dem Milch und Honig fließen. Die Menschen kämpfen, aber sie lieben die Gesellschaft jedes anderen. Und sie pflegen eine friedliche Koexistenz.

Guernica: Ich will nicht unterstellen, dass Kuba ein wahres Paradies ist, und ich glaube, wir alle bewahrten bei allen unseren Treffen in Kuba eine gesunde Ausgeglichenheit zwischen Skepsis und Offenheit, genau wie wir es bei Treffen hier getan hätten.

Soffiyah Elijah: Die wichtigste Sache mit Kuba ist, das es die Gelegenheit gibt, hinzugehen und selbst zu sehen. Es ist nicht alles richtig. Es ist nicht alles falsch. Es ist nicht alles links. Es ist nicht alles rechts. Es ist eine andere Gesellschaft, und meine Hoffnung ist, dass das Embargo aufgehoben wird und die Reisebeschränkungen völlig abgeschafft werden, sodass die [US-]Amerikaner frei dorthin gehen, sehen und lernen können und Freundschaften knüpfen, wie sie es überall sonst können.

Guernica: Was glaubst du, weshalb der Antrag für unsere Gruppe, ein Gefängnis in Kuba zu besuchen, abgelehnt wurde?

Soffiyah Elijah: Wir waren keine offizielle Delegation und hatten keine Inspektion beantragt. Ich habe niemals eine Absage bekommen, obwohl wir natürlich sagen können, dass wir eine Absage bekommen haben, wenn wir keine Zusage bekamen. Das berücksichtigt nicht den sensiblen Charakter des Antrags, in erster Linie im Licht der langen historischen Anschuldigungen der USA, die in den 1990ern eskalierten, Kuba verstoße gegen die Menschenrechte, das war einige Jahre NACHDEM ich kubanische Gefängnisse besuchte. Mein letzter Antrag, ein kubanisches Gefängnis zu besuchen, wurde inmitten historischer politischer Verhandlungen, die Beziehungen zwischen Kuba und den USA zu normalisieren, gestellt. Diese wichtigen Rahmenbedingungen sind zwingend notwendig, um die ganze Bedeutung unserer Reise in diesem historischen Augenblick zu verstehen.

Guernica: Etwas, das mich wirklich beeindruckte während wir dort waren, ist der Unterschied von dem was wir über die Behandlung von Menschen im Gefängnis dort erfuhren und dem, was ich von dir auf dem Weg zum Bus hörte über die schrecklichen Übergriffe, von denen du Zeuge in Gefängnissen in New York wurdest. Könntest du darüber sprechen?

Soffiyah Elijah: Es passieren hier so viele schreckliche Dinge. Ein gewaltiger Unterschied ist die routinemäßige Anwendung von Isolationshaft in unseren Gefängnissen. Die Anwendung von Isolationshaft in den USA ist so missbräuchlich, dass sie das Gewissen beleidigt. Im Februar 2016 wurde Albert Woodfox endlich aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er 43 Jahre in Isolationshaft verbrachte! Vergleiche das damit, dass in Kuba die Isolationshaft überhaupt nicht angewendet wird. Ein weiterer Unterschied ist, dass wenn in Kuba jemand zum Tode verurteilt wurde, er ein automatisches Recht auf Berufung bis hin zur Nationalversammlung hat, um zu entscheiden ob dieses Urteil angewendet wird oder nicht, und das letzte Mal, das es angewendet wurde, war 2003. Des Weiteren, wenn in Kuba jemand wegen Mordes angeklagt wird, ist dass erste, was geschieht, eine vollständige psychologische Untersuchung, weil vermutet wird, dass wenn jemand sich so anomal benimmt, das er einen Mord begeht, irgendetwas psychisch falsch gelaufen sein muss. Das steht im Gegensatz zu dem, was hier angenommen wird. Nichts, gar nichts von dem passiert hier.

Guernica: Ich habe es so verstanden, dass ihr in New York ein Netzwerk von früheren und heutigen Inhaftierten etabliert habt, die euch in das, was wirklich in den Gefängnissen vorgeht, einweihen, sodass ihr, wenn ihr ein Gefängnis besucht, und man versucht, die Dinge besser darzustellen als sie sind, ihr bescheid wisst.

Soffiyah Elijah: Genau. Einige dieser Leute arbeiten hier in der Correctional Association, und wir haben ein Netzwerk von Koalitionsmitgliedern und Mitgliedern des Beirats.

Guernica: Was ist mit Kuba? Woher weißt du, was wirklich in kubanischen Gefängnissen vorgeht?

Soffiyah Elijah: Ich habe dort Freunde gefragt, die Leute kennen, die dort eingesperrt waren, "Sag mir, was sagen die Menschen über ihre Erfahrungen?"
"Was geht wirklich vor?" "Das habe ich in dem Vortrag gehört." Weißt du? "Was seht ihr, was die Polizei tut." "Wie beschreiben die Menschen, was ihnen wiederfahren ist, als sie eingesperrt waren?" Und sie beschreiben nicht diese Menschenrechtsverletzungen wie sie in den Vereinigten Staaten berichtet werden. Ich bin natürlich nicht in jedem Gefängnis in Kuba gewesen. Ich habe nicht mit jedem gesprochen, der irgendwann einmal eingesperrt war. Aber ich weiß, dass Kubas Razzia gegen Korruption und Verletzung öffentlich-rechtlicher Einrichtungen sehr gravierend ist. Also, ich glaube, das trägt dazu bei, dass man dort keine Probleme mit Polizeibrutalität hat, und man hat kein Missbrauchsproblem innerhalb der Gefängnisse.

Guernica: Die Rolle der Correctional Association von New York bei der Inspizierung von Gefängnissen in New York und die öffentliche Verurteilung der Missbräuche, die du selbst gesehen und aus erster Hand davon gehört hast, sind wichtig, um das amerikanische System humaner zu machen. Wie kannst du dich mit dem, was du am kubanischen Rechtssystem magst, anfreunden, wenn es dort keine NGO wie die Correctional Association gibt?

Soffiyah Elijah: Erstens unterstellt deine Frage, dass es eine NGO wie die CA nicht geben kann. Ich glaube nicht, eine solche Behauptung aufstellen zu können. Sie unterstellt auch unterschwellig, dass nur eine Struktur wie die der CA in Kuba ihre Ziele erreichen und ihre Mission verfolgen kann. Im Licht der Tatsache, dass die politische Infrastruktur in Kuba und den Vereinigten Staaten sehr unterschiedlich ist, könnte eine solche Unterstellung fehlerhaft sein.
Die Correctional Association wurde vor über 170 Jahren von sehr wohlhabenden Menschen, die einen enormen Einfluss auf die Politik in New York ausübten, gegründet. Sie wurde geleitet von dem sozial eingestellten Richter John Edmonds, der beunruhigt war über die Bedingungen, die die von ihm zu Gefängnisstrafen verurteilten erdulden mussten. Er war so beunruhigt, dass er seine Freunde aufrief, sich ihm anzuschließen und etwas dagegen zu unternehmen. Unter Einsatz ihres politischen Einflusses gelang es ihnen, dass die New Yorker Gesetzgebung ihnen die Befugnis verlieh, alle Gefängnisse und Zuchthäuser zu inspizieren und über ihre Ergebnisse zu berichten. Sie wurden nicht von der Gesetzgebung finanziert. Allerdings waren sie dank ihres eigenen Wohlstands in der Lage, auch so zu arbeiten.
Es gibt nur eine einzige private unabhängige Organisation ähnlich der CA in den Vereinigten Staaten, die Pennsylvania Prison Society. Anders als die CA nutzt sie ihren Zugriff, um für Einzelfälle einzutreten und verfolgt keinen systemischen Wandel. Sie wurde 1787 gegründet. Viele Aktivisten in der Bewegung für eine Gefängnisreform im ganzen Land haben zur Kenntnis genommen, dass es heute wegen des politischen Widerstands von Gesetzgebern und politischer wonks [Schwankungen?] unmöglich ist, weitere CAs in anderen Staaten zu gründen.
Also, wäre es finanziell machbar in Kuba eine Organisation wie die CA zu schaffen und zu unterhalten? Die CA wird fast vollständig von privaten Spenden und Stiftungen finanziert. Philanthropische Organisationen gibt es nicht in Kuba. Kuba ist ein sehr armes Land und seine Ressourcen werden auf Ernährung, Wohnen, Ausbildung und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung konzentriert. Genau so gibt es in Kuba keine sehr wohlhabenden Menschen. Ja, einige Leute genießen eine etwas bessere Lebensqualität, aber dieser riesige Wohlstand, den wir in den USA beobachten, ist auf Kuba nicht die Regel.

- Bei einem Treffen in Havanna fragten wir, ob Frauen während der Niederkunft gefesselt würden, und man sah uns an, als hätten wir sie einer Art von Barbarei beschuldigt. Wir erklärten verlegen, dass wir nur gefragt hätten, ob sie die gleiche Praxis anwenden wie wir. -

Auf die Frage der politischen Machbarkeit gibt es zweifellos, was die meisten Menschen auch annehmen würden, die Antwort eines widerhallenden "Nein". Allerdings sind die Komitees zur Verteidigung der Revolution so ausgelegt, das sie einem öffentlichen Beitrag des Volkes auf der Basis von Häuserblocks Gelegenheit bieten und so eine partizipative Regierungsstruktur fördern. Trotz ihrer vielen Erfolge sind die Komitees Mechanismen des Staates und deshalb zumindest potentiell weniger objektiv als eine NGO wie die CA es sein kann. Es könnte schwierig sein zu ermitteln, ob die Komitees ausreichend sind, um die Arten von Bedenken anzuzeigen, für die die CA gekämpft hat, sie in den USA offenzulegen.

Guernica: Eines der Dinge für die du dich wirklich eingesetzt hast ist es, die Praxis in New York zu beenden, Frauen während der Niederkunft und Schwangerschaft zu fesseln. Aber ich habe den letzten Bericht der Correctional Association über Geburtsmedizin so verstanden, dass die Mehrheit der Frauen unter Verletzung des Gesetzes immer noch gefesselt werden.

Soffiyah Elijah: Das stimmt. Das stimmt.

Guernica: Bei einem Treffen in Havanna fragten wir, ob Frauen während der Niederkunft gefesselt würden, und man sah uns an, als hätten wir sie einer Art von Barbarei beschuldigt. Wir erklärten verlegen, dass wir nur gefragt hätten, ob sie die gleiche Praxis anwenden wie wir.

Soffiyah Elijah: Das ist ein guter Punkt. Ja. Sie können nicht verstehen, wie eine Gesellschaft auf die Idee kommt, eine Frau zu fesseln während sie niederkommt. Sich nur in einer Gesellschaft aufhalten zu können und zu hören wie bizarr sie es empfindet, dass wir eine Frau fesseln, die gerade niederkommt oder während sie überhaupt schwanger ist - also, diese Art der Unterstützung treibt deine berechtigte Empörung an zurückzuschlagen und fordert noch bestimmter zu sagen: "Nein, ich bin nicht verrückt. Ich weiß, dass das nicht die Regel sein muss, und das, was hier geschieht, ist barbarisch."

Hyatt Bass lebt und schreibt in New York City. Ihr Debutroman The Embers [die Asche] erschien 2010. Sie ist Mitarbeiterin des Winter Institutes und Kandidatin für eine MFA in Fiction [ein akademischer Grad für kreatives Schreiben] an der Kunstschule der Universität von Columbia.

Soffiyah Elijah ist geschäftsführende Direktorin der Correctional Association von New York. Sie ist ausgebildete Anwältin, Juristin, Wissenschaftlerin und Pädagogin. Frau Elijah ist die erste Frau und die erste farbige Person, die die fast 170 Jahre alte Organisation für ein faireres, effizienteres und humaneres Strafrechtssystem leitet.

Deutsch: Josie Michel-Brüning und Dirk Brüning

(Quelle: Guernica vom 21. März 2016)

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