Das Unrecht an Ivette & Lisbet aus psychologischer Sicht

Marianela Samper, Radio Havana Cuba
27. Januar, 2004

Die Abwesenheit einer väterlichen oder mütterlichen Bezugsperson übermittelt Kindern ein Gefühl des Verlustes, das von Psychologen mit "Trauern" charakterisiert wird und manifestiert sich bei den verbliebenen Elternteilen in übertriebener Fürsorge, Ängstlichkeit, Furcht allein zu sein etc.
Die Einkerkerung eines Elternteiles ist spontan traumatisch und schwer für ein Kind zu verstehen. Doch im Fall der fünf kubanischen antiterroristischen Kämpfer hat das Gefängnis eine ehrenhafte Bedeutung angenommen. Aber mit welchen Worten drückt man das Kindern gegenüber aus?
Dr. Patricia Arés von der psychologischen Fakultät der Universität von Havanna erklärt die erste Auswirkung auf die Psyche der kleinen Töchter des inhaftierten René González und Ramón Labañino, Ivette und Lisbet:
"In diesem Fall erleben die Kinder einen bedeutenden Widerspruch, der sehr schwer für sie zu verstehen und zu erklären ist, weil er mit der kindlichen Logik bricht. Sie glauben, dass ihre Väter im Gefängnis sind, weil sie sich schlecht benommen hätten. Sie sind nicht in der Lage zu verstehen, dass sich in Wirklichkeit diejenigen schlecht benommen haben, die sie eingesperrt haben - es ist für 5-6-jährige schwer zu akzeptieren, dass jemand ohne Grund bestraft werden kann.
Es verlangt viel ihnen viel ab, diese Ungerechtigkeit zu verstehen: ‚Wenn mein Vater ein guter Mensch ist, wenn er Gutes tat, wenn er das Recht und die Freiheit all' unserer Leute beschützt hat, warum wurde er dann bestraft?' Wenn es Dinge gibt, die sich Kinder nicht erklären können -wenn ihnen ihr Vater gegen seinen Willen und den seiner Familie und Freunde weg genommen wurde, dann empfinden eine Menge Wut. Solche Wut ist nicht gut für die emotionale Entwicklung eines Kindes.
Die Notwendigkeit, die Welt von der Wahrheit über die "Cuban Five" - über Gerechtigkeit und Freiheit - in Kenntnis zu setzen - , stellt die Familiengemeinschaft in ein soziales Umfeld von öffentlicher Bewunderung, in dem ihre Väter sowohl präsent als auch abwesend sind. Das steigert das Verlustgefühl und bringt für die Kinder Trauer und Idealisierung mit sich.
Diese Gefühle werden durch die Tatsache auf gewisse Weise abgemildert, dass sie Unterstützung von ihren Müttern, Geschwistern, Großeltern und anderen Familienmitgliedern haben, sowie die ihres Landes und seiner Menschen. Dieses enorme Netzwerk von Unterstützung hat Ivette und Lisbet befähigt, Feindschaft und Hass zu überwinden und stattdessen die Werte der Liebe und des Kampfes für die Gerechtigkeit in sich zu entwickeln.
In Ivettes Fall," sagt Doktor Arés, "vermittelten ihr die Instabilität der ersten Jahre nach der Verhaftung ihres Vaters (als sie erst wenige Monate alt war), als sie bei ihrer Urgroßmutter in Sarasota in den USA gelebt hatte, ein Gefühl der Verlassenheit." Trotzdem sagt das Außenministerium (das ihrer Mutter, Olga Salanueva, ein Einreisevisum verweigert, um ihren Ehemann zu sehen), das Kind könne mit einem anderen Familienmitglied einreisen, um seinen Vater zu besuchen, jedoch nicht mit seiner Mutter.
Olga Salanueva verweist auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13. Juni, 2003, im Fall des Direktors des Bundesgefängnisbüros von Michigan gegen Bazzetta, bei dem festgestellt wurde, dass "ein Kind mit der Erlaubnis, einen Gefangenen zu besuchen, von einem Erwachsenen begleitet werden soll, der zur unmittelbaren Familie des Kindes gehört, wie ein Eltern-, Geschwisterteil oder ein legaler Vormund."
Aus diesem Grunde betont Olga so nachdrücklich: "Ich habe die Pflicht, meine Tochter zu beschützen und das Recht, meinen Ehemann in Begleitung meiner beiden Töchter zu besuchen."
So weit es Ramón Labañino betrifft, konnten ihn seine Töchter von 6, 9 und 15 Jahren im Beaumont-Gefängnis in Texas besuchen, doch unter sehr feindseligen Bedingungen, die ihre Mutter, Elízabeth Palmeiro, so widergibt:
"Von dem Moment an, als wir vom Havana Airport abhoben, waren sie Feindseligkeiten ausgesetzt, als ob sie schlechte Menschen wären, weil sie aus Kuba kamen. Wir wurden extremen Kontrollen unterzogen, wir mussten Schuhe und Strümpfe ausziehen etc.
Nach der Ankunft im Gefängnis war der Stempelabdruck, den wir alle auf unseren Händen erhalten hatten, bei Lisbet nicht gut zu erkennen. Sie wurde gezwungen, durch das Labyrinth der Gänge des Gefängnisses ohne ihre Mutter zurück zu gehen, um ihn erneuern zu lassen. Sie sah ihren Vater das erste Mal nach vier Jahren wieder und war geschockt und verspannt. Sie wollte zuerst nicht zu ihm gehen, weil sie ihn nicht kannte. Aber, erinnert sich die Mutter, als sie ihre Schwestern bei ihrem Vater sah, überzeugte sie das und "sie rannte zu ihm und umarmte und küsste ihn..."
Wegen der strengen Kontrollen bei dem Besuch und der Vermittlung der Wachhabenden diese Kontrollen seien notwendig, bekam Lisbet ein Schuldgefühl, erklärte ihre Mutter.
Dr. Arés fügt hinzu: "Diese Situation während des Besuchs im Gefängnis, welches ihr Vater nicht verlassen kann, wo sie nicht miteinander spielen können, einander nicht so viel Zärtlichkeit geben können, wie sie es möchten, erzeugt gewaltige Angst. Diese erzwungene Kontrolle der Gefühle und deren natürlichem Ausdruck ist symbolische Gewalt, die ein Kind zwingt, während der Dauer des Besuches wie ein Erwachsener zu handeln.
Obwohl Ramóns Kinder, im Gegensatz zu Ivette, ihren Vater sehen konnten, "waren sie einer feindseligen Umgebung ausgesetzt, die für sie traumatisch war."
Ramón Labañino, Antonio Guerrero und René González waren fürsorgliche Väter, doch je länger sie physisch von ihren Kindern getrennt sind, desto mehr wird der Mangel an Geruchswahrnehmung, an Berührung registriert. Das nennt man in der Psychologie "Prägung". Dr. Patricia Arés sagt, es sei in diesem Fall von großer Bedeutung.
Klein-Ivette hat Eindrücke von ihrem Vater, die sich ihr eingeprägt haben, kann sich aber nicht an sein Gesicht erinnern, obwohl sie sich auf ihn anhand der Fotos als "meinen Papa" bezieht. Weil er sie jedoch als Baby in seinen Armen hielt, haben sich ihr sein Duft und Aussehen eingeprägt und werden, wenn sie wieder einmal körperlichen Kontakt haben, zurück kommen.
Dr. Arés fügt hinzu, dass das der Grund dafür sei, warum es so wichtig ist, dass die Vereinigten Staaten Olga Salanueva ein Visum ausstellen, damit sie ihr Kind zu René González mitnehmen kann und es wieder einmal auf seinem Schoß sitzen darf.

Deutsch: ˇBasta Ya!

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