Offener Brief an die Journalisten der Süddeutschen Zeitung vom 6. Mai 2003

Antwort auf ihre Artikel vom 29.4.von Jochen Müssig, "Erkundungen in Kuba vor dem gesellschaftlichen Wandel - Fidel geht, George Walker kommt"

und 30.4. 2003 von Peter Burghardt, "Wie der alternde Fidel Castro versucht, seine Macht zu sichern - Der Herbst des Patriarchen"

Sehr geehrter Herr Müssig,

sehr geehrter Herr Burghardt,

laut einem Artikel vom 6. April in "Sun Sentinel", einer Zeitung Floridas, plant eine der exilkubanischen Organisationen, das "Commando F 4", offen eine schwer bewaffnete Invasion auf Kuba vor.

Wir gehören zu den Kubafreunden, die die Todesurteile in Kuba sehr erschreckt haben, denn wir sind gegen die Todesstrafe und glauben auch nicht an deren abschreckende Wirkung, und da sie seit 3 Jahren in Kuba nicht mehr vollstreckt worden war und seiner zeit auch ein kubanischer Justizminister öffentlich gesagt hatte, dass angestrebt sei, die Todesstrafe abzuschaffen mit entsprechender Verfassungsänderung, waren wir diesbezüglich in "guter Hoffnung".

Aber, was den meisten, fern von Kuba lebenden Menschen nicht bewusst sein kann, ist, die o.g. Gefahr, die die kubanische Regierung nicht unbeeinflusst lassen kann, dass man zu einer Verfassungsänderung ein Referendum braucht, die Mehrheit des kubanischen Volkes muss damit einverstanden sein, und diese Mehrheit fühlt sich in letzter Zeit massiver bedroht denn je.

Darüber hinaus kann man sich leicht vorstellen, wie die deutsche Bevölkerung reagierte, wenn man z.B. unmittelbar nach Sexualmorden, wie noch jüngst an den Kindern von Eschweiler oder nach Geiselnahmen von Frauen und Kindern auf dem offenen Meer, wie bei der Fährentführung in Kuba, eine entsprechende Volksbefragung durchführte.

Nach dem kubanischen Gesetz muss die von einem Gericht ausgesprochene Todesstrafe vom Staatsrat legitimiert werden. Diesem Staatsrat gehören 31 Vertreter an, die vom Volk in langen Wahlprozeduren gewählt wurden, Fidel Castro ist nur ein Mitglied desselben. Und dieser Staatsrat hat sich anscheinend mehrheitlich binnen 3 Tagen für die Vollstreckung der Todesstrafe ausgesprochen.

Kuba ist eine Art Räterespublik. Wer das kubanische Wahlsystem verstehen möchte, der sollte dazu z.B. das Buch des Kanadiers Arnold August, "Democracy in Cuba and the 1997-98 Elections" (ISBN 0-9685084-0-5) und darin speziell das 6. Kapitel, "The First Phase of the 1997-98 Elections, 253 ff. und das 7., "The Second Phase of the 1997-98 Elections", 299 ff. lesen.

Im Februar diesen Jahres ist wieder so eine Wahl zu Ende gegangen.

Kuba ist nicht vergleichbar mit dem Irak, und Fidel Castro ist kein Sadam Hussein, wie es uns die Bush-Adminstration und allen voran die exilkubanische Mafia weismachen will, der Bush seine "gewonnenen Wahlen" zu verdanken hat und der er sich entsprechend verpflichtet fühlt.

Man hat Kuba schon Paranoia unterstellt, aber die von der UNESCO bestätigten Zahlen belegen seine berechtigte Angst: bis 1999 3.478 Todesopfer und 2.099 Invalide innerhalb der kubanischen Bevölkerung aufgrund von Terroranschlägen der von der CIA unterstützten exilkubanischen Organisationen. Fidel hat 600 Mordanschläge überlebt.

Jeder Vergleich hinkt, aber man stelle sich vor, unsere Vertriebenenverbände wären von der CIA mit Waffen versorgt und militärisch ausgebildet worden, um ihre Ländereien im Osten Deutschlands zurückgewinnen zu können.

Wer wissen will, wie es Kuba, einem ressourcenarmen Land der Dritten Welt, ergangen wäre, wenn es der Invasion in der Schweinebucht erlegen wäre, wenn es nicht zunächst den "Sponsor"oder doch eher Handelspartner Sowjetunion gewonnen hätte, wenn es sich nicht gegen die Terroranschläge zur Wehr gesetzt hätte, der braucht sich nur auf der Nachbarinsel Haiti, in Guatemala, Nicaragua, El Salvador, etc., eben im "US-amerikanischen Hinterhof" umzusehen.

Man könnte sich auch fragen, wie sich Chile entwickelt hätte, wenn Allende damals Pinochet und seine korrupten Militärgenossen an die Wand gestellt hätte.

Es war eine angenehme Überraschung für uns, dass sich die rot-grüne Regierung - sicher auch mit Blick auf die Wahlen - gegen den Angriffskrieg auf den Irak ausgesprochen hatte, dass Leute, wie Günter Grass und dann sogar der Pabst öffentlich dagegen Stellung bezogen, dass sich die deutschen Medien im Gegensatz zu den US-amerikanischen trauten, kritisch darüber zu berichten.

Was reitet dieselben Leute jetzt, ausgerechnet im Falle Kubas sich der Meinung Bush's, Kuba sei ein Schurkenstaat, unkritisch anzuschließen und damit einer zu befürchtenden Invasion Vorschub zu leisten?

Was müssen unsere Prominenten fürchten? Wer profitiert davon?

Wenn Sie, Herr Müssig, sich die Mühe gemacht hätten zu recherchieren oder einfach nur regelmäßig "The Miami Herald", auch eine renommierte Zeitung Floridas, gelesen hätten, dann wüssten Sie, was die kubanische Bevölkerung erwartet, wenn "Fidel geht und George Walker kommt", nämlich zunächst eine "Nacht der langen Messer" und dann einen Rückfall in die Kolonialzeit, von der die wenigsten Kubaner profitieren werden.

Und wenn Sie, Herr Burghardt, die "Filippika" Fidels gelesen hätten (es gibt sie auf Deutsch im Archiv von htttp:www.cuba-si.org), die überwiegend eine lange Aufzählung aller gewaltsamen Flugzeugs- und Schiffsentführungen der letzten Zeit enthält - die gelungenen Entführungen gingen in Miami straffrei aus und die Flugzeuge und Schiffe wurden nicht an Kuba zurück gegeben, sondern zumeist versteigert und deren Erlös kam den exilkubanischen Organisationen zugute, allein in den letzten Monaten waren es derer 7 -, dann wären Sie mit Ihrer Interpretation der Ereignisse sicher vorsichtiger gewesen.

Fidel Castro kann es sich, im Gegensatz zu US-amerikanischen Präsidenten, nicht leisten zu lügen, er kann sich, wie jeder andere Mensch irren, aber bisher scheint "die Geschichte" ihn in den Augen des kubanischen Volkes und aufmerksamer Beobachter von außerhalb noch immer "freizusprechen". Seine jeweils detaillierten Zahlenangaben innerhalb seiner "Propagandareden" konnten sich bisher immer belegen lassen. Andernfalls hätte er die 600 Mordanschläge nicht überlebt und wäre er nicht mehr Präsident seines Landes.

Denn in Kuba ist dank seiner Revolution eine breite Schicht von Intellektuellen herangewachsen - den so genannten 78 freien Journalisten, von denen nur 4 eine journalistische Ausbildung nachweisen konnten und von diesen wiederum pikanterweise 3 kubanische Agenten waren, stehen 700.000 gegenüber, die mitdenken, ganz abgesehen von dem Teil der Bevölkerung, der noch das Batista-Regime erlebt hat, das 20.000 Tote und "Verschwundene" gekostet hatte.

Bitte lesen Sie dazu die im Attachment beigefügte kurze Zusammenstellung von Pressemitteilungen mit Quellenangaben nur zu den jüngsten Ereignissen.

Sie, sehr geehrter Herr Burhardt, erwähnen "das Gezerre um das Kind Elian". Warum waren damals 80 % der US-amerikanischen Bevölkerung und schließlich die "Weltöffentlichkeit" aufseiten nicht nur des Kindes, sondern auch auf Seiten Kubas? Weil die in Miami maßgeblichen Exilkubaner den Fehler begangen hatten, das Kind in die Öffentlichkeit zu zerren und ihren Fanatismus z.B. auf CNN offen zur Schau zu stellen. Relativ "klüger" verhielten sie sich im Fall der fünf in den USA inhaftierten Kubaner. Sie behandelten die Sache möglichst intern und verordneten den Massenmedien Schweigen.

Wenn Sie sich über den Fall wirklich informiert hätten, würden Sie nicht mehr behaupten, "Nun läßt er [Fidel Castro] für 'fünf Helden' auf die Straße gehen...".

Warum meinen Sie gehen weltweit Menschen aus über 123 Komitees, allen voran aus den USA, aus über 61 Ländern für "die Fünf" auf die Straße, schrieben Bittbriefe an die zuständigen US-Behörden und an die Menschrechtskommission der Vereinten Nationen mit Unterstützung von Amnesty International, als "die Fünf" ausgerechnet kurz vor ihrem Revisionsprozess einer neuerlichen Willkürmaßnahme zum Opfer fielen und in menschenrechtswidrige Isolationshaft verbracht wurden?

Und warum meinen Sie, waren die Aktionen der internationalen Solidargemeinschaft wenigstens in diesem Fall erfolgreich?

Ich überlasse die Antwort Ihnen, in der Hoffnung, dass Sie sich trotz des harten Konkurrenzkampfes im Journalismus, wo die Medien in immer weniger Händen der großen tonangebenden Konzerne liegen, einen Rest von Redlichkeit bewahrt haben.

Wenn Ihre Redaktion es auch nicht wagen wird, meinen Brief in ihrer Zeitung zu veröffentlichen, bitte erweitern Sie Ihre Wahrnehmung. Die Welt ist wesentlich komplexer als es uns dpa, ap oder Reuters wahrmachen will.

Bitte ziehen Sie auch unkommerzielle Quellen zurate.

Bitte besuchen Sie z.B.:

http://www.miami5.de

http://www.freethefive.org

oder

http://www.antiterroristas.cu

In der Hoffnung, Ihre Aufmerksamkeit gefunden zu haben danke ich Ihnen im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen

Josie Michel-Brüning

Zurück