Die Habeas-Corpus-Berufung für Gerardo Hernández, einem der "Cuban Five"

Es existiert kein Beweis dafür, dass Hernández eine wie immer geartete vorherige Kenntnis hinsichtlich des Abschusses der Flugzeuge von "Brothers to the Rescue" durch die kubanische Luftwaffe hatte - Einflussnahmen auf den Prozess waren "tragischerweise völlig falsch"

Von Machetera
19. Januar 2011

"Gerardo Hernández erhielt weder vonseiten der Staatsanwaltschaft noch von seiner eigenen Verteidigung einen der Gesetzgebung genügenden Prozess." Leonard Weinglass

Die Anwälte von Gerardo Hernández, einem kubanischen Bürger, der zwei auf einander folgende lebenslängliche Strafen, plus 15 Jahre, im Gebäudeflügel eines Hochsicherheitsgefängnisses der US-Bundesstrafanstalt in Victorville, Kalifornien, verbüßt, hat seinen letzten Berufungsantrag im US-Rechtssystem gestellt. Das Beweismaterial zur Unterstützung seines Rechts auf eine neue Verhandlung ist umwerfend.
Hernández ist einer der zehn Kubaner, die wie die im Sommer 2010 in New York, New Jersey und Massachusetts verhafteten russischen Agenten, 1998 in Miami vom FBI verhaftet wurden und wegen der Unterlassung, sich als Agenten einer ausländischen Regierung registrieren lassen zu haben sowie wegen Verschwörung Spionage begehen zu wollen, angeklagt wurden. Im Unterschied zu den Russen, die schleunigst ausgewiesen wurden und nie vor Gericht gestanden haben, bekannten sich fünf der verhafteten Kubaner rasch schuldig und wurden mit minderen Strafen und "Green Cards" belohnt, während die anderen Fünf, einschließlich Hernández, für fast anderthalb Jahre in von einander getrennte Isolationszellen geworfen wurden, um dort auf ihren Verhandlungstermin zu warten. Alles Beweismaterial gegen sie und das für ihren Fall irrelevante wurde von den Bundesbehörden unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit weggeschlossen. Eines der Anliegen dieses jetzt erhobenen Einspruchs ist die Manipulierung des Beweismaterial seitens der Regierung.
Während der 1990er Jahre, als die rechtsradikalen Cubano-Amerikaner in Miami über den Sturz von Kubas Hauptförderer, der Sowjetunion, frohlockte, wurden die Aktionen gegen Kuba provokativer denn je, da sie auf ein ähnliches Ende für Kuba angelegt waren. Kleine Schiffe und Flugzeuge brausten von Miami aus nach Kuba und schossen von Kubas Küsten oder aus der Luft auf Strandhotels, warfen Objekte aus der Luft ab, und während dessen wurden Söldner angeheuert, um dort, mit tragischen und tödlichen Ergebnissen, Bomben zu legen und Waffen ins Land zu schmuggeln. Die kubanischen Agenten wurden nach Miami geschickt, um Kuba zu benachrichtigen und diese Aktionen zu verhindern, die Kuba verständlicherweise als Terroranschläge betrachtet.

Hernández war ihr Anführer

Als 2000 der Gerichtstermin für die "Cuban Five" (als die sie in den USA bekannt sind) nahte, wurde den ersten beiden Anklagen gegen Hernández plötzlich ein dritte hinzugefügt. Der dritte Punkt war "Verschwörung zum Mord durch Unterstützung und Ausführung eines Plans, Flugzeuge der zivilen US-Luftfahrt außerhalb des Luftraums von Kuba und den Vereinigten Staaten abzuschießen."
Beinahe fünf Jahre vor dem Prozess, am 24. Februar 1996, waren zwei Flugzeuge der paramilitärischen Gruppe in Miami, bekannt als die "Brothers to the Rescue (BTTR) [Hermanos al Rescate] von kubanischen Kampfjets abgeschossen worden, als sie nach Kuba, in den Grenzbereich von dessen Luftraum flogen, den sie zuvor schon viele Male verletzt hatten. BTTR wurde von José Basulto, einem Veteranen, der von der CIA für die Invasion der Schweinebucht gesponserten Söldnerbrigade, die 1962 damit begannen, kubanische Strandhotels von Schiffen an der Küste aus anzugreifen, hatte er selber beispielsweise von einem Schnellboot aus ein Hotel im Miramar-Bereich mit einer 20mm Kanone angegriffen.
Bei der Zerstörung der Flugzeuge wurden vier Menschen getötet, drei von ihnen waren US-Bürger und der vierte war ein Kubaner mit US-Aufenthaltsrecht. Ein drittes Flugzeug mit Basulto und seinen drei Passagieren an Bord [zwei davon waren Sylvia Iriondo und ihr Ehemann, Anm. d. Ü.] entkam. Der von der Regierung erhobene Streitpunkt war der, Hernández habe im Voraus von einem Plan der kubanischen Regierung gewusst, die Flugzeuge abzuschießen, der Plan sei gemäß der Anklage illegal gewesen, da Kuba den Abschuss der Flugzeuge über internationalem Gewässer - nicht im kubanischen Luftraum - beabsichtigt habe und dass Hernández damit einverstanden gewesen sei, dabei zu helfen, den Plan zu verwirklichen.
Nach einer siebenmonatigen Verhandlung, die, auch für den Standard in Miami, von einer wahnwitzigen Medienberichterstattung gekennzeichnet war, wurden die Fünf in allen Anklagepunkten für schuldig befunden.

Die ersten Berufungsprozesse

Hernández's Fall und der seiner Landsleute ging in Berufung. 2005 urteilte ein Drei-Richter-Gremium für Berufungen einstimmig, alle Verurteilungen müssten wegen der in der Gemeinde vorherrschenden Vorurteile und des Unterlassens des Gerichts, den Prozess nach außerhalb von Miami zu verlegen, aufgehoben werden.
Die Regierung strengte eine Revision des Urteils vor dem gesamten 11-Richtergremium des Elften Bezirksgerichts, "En Banc court" genannt, an. Trotz der vorherigen einstimmigen Entscheidung, die Verurteilungen aufzuheben, hob der "En Banc court" dieses Urteil wieder auf, indem er die Verurteilungen bestehen ließ und die verbleibenden Angelegenheiten, ohne den Gerichtortswechsel, an das Drei-Richter-Gremium zurück verwies. Dieses Gremium setzte sich aus den Richtern Birch, Pryor und Kravitch zusammen. Sie bestätigten die Verurteilungen in einer 2 zu 1 Abstimmung, ordneten jedoch an, dass drei der Angeklagten eine neue Verhandlung zur Überprüfung ihrer Strafen bekämen.
Was Hernández betraf, so wurden seine beiden lebenslänglichen Strafen, plus 15 Jahre, aufrecht erhalten. Nur Richterin Kravitch schrieb einen eindeutigen Dissens in der Angelegenheit von Hernández's Verurteilung. Und Richter Birch nannte dies, als er von Hernández's Verurteilung sprach, einen "very close case" [sehr undurchsichtigen Fall, Anm. d. Ü.]
Leonard Weinglass, einer an Hernández's Berufung beteiligter Anwalt, drängt darauf, Kravitch's Dissens zu lesen. "Hier spricht eine respektierte verdiente Richterin des Elften Bezirksberufungsgerichts, die einen beredten Dissens gegen Hernández's Verurteilung schrieb, der besagt, dass er nicht hätte verurteilt werden sollen, da er keine Kenntnis von den Vorgängen mit den Flugzeugen zu dem betreffenden Tag gehabt habe und dass Kuba ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Dies ist nichts, was wir erfunden hätten," sagte Weinglass.
Weinglass ruft auch zur Beachtung des Wortlauts in Birch's Urteil auf. Man bemerke, sagt Weinglass, "er sagte nicht, es sei eine ‚close question' [abgeschlossene Frage], sondern ein ‚very close question' [eine ungeklärte, sehr unübersichtliche Frage, Anm. d. Ü.]." Praktisch brachte nur Pryor, einer der konservativsten Richter des gesamten Landes, keinerlei Zweifel über die Verurteilung von Hernández zum Ausdruck.

Habeas Corpus Appeal

Eine Habeas-Corpus-Berufung kann nicht gestellt werden, bevor alle anderen Berufungen erschöpft sind, und tatsächlich ging der Fall der Cuban Five nach der Anordnung zur Strafneubemessung durch Birch, Pryor und Kravitch noch vor den Supreme Court, der die Anhörung des Falls im Juni 2009 ablehnte.
Solcher Art ist der jetzt laufende Berufungsantrag der Anwälte. Mit all seinen Anlagen ist er Hunderte von Seiten lang. Er zielt großenteils auf die Fehler, die von Hernández's Pflichtverteidiger, Paul McKenna begangen wurden, die gemeinsam mit den Verstößen der Staatsanwaltschaft praktisch den Effekt hatten, dass ihm im Prozess sein verfassungsmäßiges Recht verweigert wurde. Er legt auch Beweise vor, die nach dem ursprünglichen Prozess entdeckt wurden, Beweismaterial, das Weinglass "Beweismaterial von verfassungsmäßigem Ausmaß" nennt.
Vieles dieses Beweismaterials gehört zur Aufdeckung von 2006, dass viele der bei der Verhandlung 2000/2001 aufwieglerischen Geschichten von Journalisten stammen, die für Radio und TV Martí, antikubanische Propagandasender, die von der US-Regierung gesponsert und betrieben wurden, gleichzeitig auf der Gehaltsliste der US-Regierung standen. Der Kampf, an die Information über die an der Medienmanipulation in der Gemeinde beteiligten Reporter zu gelangen, stellt während des Verfahrens allein für sich eine weitere interessante Geschichte dar.
Einige der neuen Beweise kommen auch aus der geheimgehaltenen Information, die die Regierung unangemessenerweise versucht hatte zu verbergen, um Hernández gleichzeitig die Möglichkeit vorzuenthalten, sich zu verteidigen, und dadurch Prozessvorteile zu haben. Die Berufung zeigt, wie Hernández's Rechte verletzt wurden, als die Regierung Hernández und McKenna von einer gesonderten privaten Anhörung ausschlossen, wo Material hätte überprüft werden können, zu denen auch Belege über die Hochfrequenz-Botschaften von der kubanischen Regierung an ihre Agenten gehörten, und darüber hätte befunden werden können, welche davon für das Verfahren zugelassen würden.
"Hätte [Hernández] von der Existenz dieser Hochfrequenz-Botschaften gewusst (später wurde bekannt, dass die Regierung nur 44 von annähernd 350 empfangenen Botschaften preisgab) und von der zusätzlichen als geheim erklärten Kommunikation, er hätte sich darum bemüht, diese in die Beweisaufnahme aufzunehmen, um zu zeigen, dass er keine Kenntnis davon hatte, dass Kuba beabsichtigte, die Flugzeuge der Brothers to the Rescue illegalerweise abzuschießen." (1)

Die Missdeutung der Berufung durch die Medien

Es ist praktisch unmöglich, die zahllosen und oft sehr fachspezifischen in dem Berufungstext hervorgehobenen Rechtsverstöße zu erklären, insbesondere bei der ökonomischen Arbeitsweise des schnellen Überfliegens von Dokumenten, aus denen man sich ausgesucht sensationelle Zitate auswählt und dann den Kontakt zu den Urhebern beider Seiten für einen Kommentar aufnimmt. Nicht, dass das nicht versucht worden wäre. Der Miami Herald gab am 26. Dezember 2010 eine mit der Überschrift geschmückten Geschichte von Jay Weaver zum besten: "Kubanischer Meisterspion behauptet jetzt, die Schießerei auf die Brothers to the Rescue fand außerhalb des kubanischen Luftraums statt."
Die Geschichte veranschaulicht auf perfekte Weise, dass hastiges und selektives Lesen kein Ersatz für wirklich investigativen Journalismus ist, obwohl es perfekt zu den der Propaganda entsprechenden Ergebnissen geführt haben mag. [Man achte auf den vorbelastenden Wortlaut der Überschrift: "Schießerei" statt "Abschuss" und "Meisterspion" statt beispielsweise "kubanischer Agent".]
Der vom "Herald" geschilderte Fall unterscheidet sich sehr von dem des von Hernández und seinen Anwälten dargestellten Falls.

Verteidigungsfehler

Hernández's Habeas-Corpus-Berufung erklärt, dass einer der schmerzlichsten der begangenen Irrtümer bei seiner Verteidigung die Unterlassung war, ihn über sein Recht auf die Beantragung eines separaten Verfahrens aufzuklären, um die dritte Anklage auf Mordverschwörung getrennt verhandeln zu lassen, statt das selbe Verfahren wegen Spionageverschwörung und Anklagen wegen ausländischer Agententätigkeit in Anspruch zu nehmen. Die Auswirkung dieser Unterlassung bestand nicht nur darin, dass alle fünf Kubaner in einer Atmosphäre der Gemeinschaftsschuld vor Gericht standen und verurteilt wurden, sondern auch darin, dass McKenna so damit beschäftigt war, die 3. Mordverschwörungsanklage zu verhandeln, dass er die beiden anderen Anklagen seines Mandanten wesentlich vernachlässigte.
So wirkte sich auch die Unterlassung aus, die Verfahren zu trennen, denn andere Zeugen, die in der Lage gewesen wären, den Kenntnismangel von Hernández über den Flugzeugabschuss zu bezeugen, wie die anderen fünf Kubaner, die sich schnell schuldig bekannt hatten, und insbesondere Hernández's Mitangeklagter René González, der die BTTR unterwandert hatte, hätte bezeugen können, dass Hernández keine spezielle Kenntnis von irgend einem Abschuss hatte, sie alle konnten nicht zu seiner Verteidigung aussagen. Das Problem, dass González nicht aussagen konnte, mag bis zu einem gewissen Grad an dem nicht angestrengten Rechtsverfahren, das man "Byrd Affidavit" [Affidavit=eidesstattliche Erklärung, Anm. d. Ü.] zurückzuführen gewesen sein, das aber McKenna nicht nutzte.
"Hätte der Anwalt solche Angelegenheiten untersucht und ausgewertet und seinen Klienten zu Rate gezogen, wäre er in der Lage gewesen, von René González ein Byrd Affidavit [eine eidesstattliche Erklärung] zu erhalten, um zu zeigen, dass, welche Kenntnis Hernández hinsichtlich einer bevorstehenden Konfrontation der BTTR mit Kuba gehabt oder auch weitergegeben haben mag, sie war die gleiche allgemeine Kenntnis wie die der Öffentlichkeit vorlag, nämlich dass Kuba versuchen könnte, Flugzeuge abzuschießen, wenn sie weiter den kubanischen Luftraum verletzten und dass er es so verstanden habe, dass Kuba das gesetzmäßige Recht habe, das in seinem eigenen Luftraum zu tun. Hernández war sich keines Plans oder ungesetzlichen Akts bewusst oder einer Art von Handlung, die einen gesetzlich legitimierten militärischen Gegenschlag hätte provozieren können." (2)

Das grobe Missverständnis von Miami Herald

Ein weiterer ernster Verteidigungsfehler war einer, der vielleicht im Nachhinein verständlicher ist, zumindest für Nichtjuristen, nämlich die Anstrengung der Verteidigung, die Entscheidung beim UN-Sicherheitsrat rückgängig zu machen, der den Ort des Abschusses eher im internationalen als im kubanischen Luftraum ansiedelte.
Die Entscheidung wurde von Madeleine Albright durch den Sicherheitsrat gepuscht bei Außerachtlassung der Tatsache, dass nach Monaten der Untersuchung, die wiederholt verlängert worden waren, da die USA es unterlassen hatten, die Abgabefristen für die Einreichung ihrer Beweismaterialien einzuhalten, der Arm der zivilen Luftfahrt bei der UN - die International Civil Aviation Organization (ICAO) - befunden hatte, dass die Radar-Daten der USA und Kubas "signifikante und unvereinbare Differenzen" aufwiesen. Aufgrund dieser Differenzen und anderer Unregelmäßigkeiten weigerte sich der Rat der ICAO, seinen eigenen investigativen Bericht zu bestätigen. Dies stellte für Albright kein sonderlich zu beachtendes Hindernis dar, und sie und ihre Diplomaten-Kollegen bestimmten den Ort selber.
McKenna bevorzugte es irrtümlicherweise zu versuchen, die Jury in Miami davon zu überzeugen, dass sich der UN-Sicherheitsrat geirrt habe und trachtete danach, dessen Entscheidung im Gerichtssaal von Miami neu zu verhandeln. Zu diesem Zeitpunkt war die Entscheidung des Sicherheitsrates schon in einem anderen Gerichtsverfahren in Miami als Grundlage dafür genutzt worden, Zugang zu Kubas eingefrorenem Vermögen zu erhalten, um die Familien der abgeschossenen Piloten und deren Anwälte zu entschädigen. Bei dem Versuch, die Jury von zwölf Laien in Luftfahrtsangelegenheiten davon zu überzeugen, die Ermittlungen der ICAO zu überprüfen und zu befinden, dass Kuba im Recht sei und die US-Regierung im Unrecht - ein hoffnungsloses Unterfangen in einer Gemeinde, in der die abgeschossenen BTTR-Piloten als Helden gehandelt wurden - kämpfte McKenna nicht nur gegen einen, sondern gleich zwei Präzedenzfälle an. Das, was diese Art der Verteidigung lediglich erreichte, war die Verhärtung der Widerstandshaltung unter den Geschworenen gegenüber seinem Klienten. Noch bedeutsamer: es war nicht der Fall, um dessen Verteidigung er gebeten worden war.
Es ist der Mühe wert, den dritten Punkt der Anklage noch einmal zu überprüfen, um ihn in vollem Umfang zu begreifen.
"Verschwörung, Mord begehen zu wollen durch Unterstützung und Ausführung eines Plans, ein ziviles Flugzeug der Vereinigten Staaten außerhalb des kubanischen Luftraums und dem der Vereinigten Staaten abzuschießen."
Mit anderen Worten, ein Plan, ein Flugzeug innerhalb des kubanischen Luftraums abzuschießen, wäre überhaupt kein Verbrechen gewesen - das war es, worauf McKenna setzte, auf eine Straße, die mit guten Vorsätzen gepflastert war, um seinen Klienten auf der Grundlage freizubekommen, dass eigentlich kein Verbrechen begangen wurde.

Historische Fragen

Trotz der rechtlichen Präzedenzfälle, als historische Angelegenheit bleibt der Ort des Abschusses, was die sachliche Beweislage betrifft, eine offenen Frage. Der letzte Anhang der Berufung macht es klar: US-Satellitendaten wären der objektivste und endgültige Weg, ein für alle Mal die Frage des Ortes zu klären, aber trotz des Vorschlags seines Zeugen, des Luftfahrtexperten George Buchner, hat McKenna diese Daten nie angefordert, noch sind sie je freigegeben worden. Buchner sagt, dass das ICAO-Untersuchungsteam ebenfalls versucht habe, die Daten zu erhalten aber damit gescheitert sei.
Ein anderer Anhang der Berufung, die Erklärung von Professor John Quigley, einem Experten für Internationales Recht, macht klar, dass einige der von McKenna im Verfahren von Miami gestellten Fragen, wie die, ob die BTTR-Flugzeuge nun militärischer oder ziviler Art gewesen seien, im Lichte des etablierten Internationalen Rechts irreführend und irrelevant gewesen seien: "... die relevante Frage wäre gewesen, ob für den [kubanischen] Staat durch das Eindringen eine erhebliche Bedrohung erkennbar war, und nicht, ob das Flugzeug ziviler oder militärischer Art gewesen ist."
Dieses besondere Argument hat wirklich verheerende Konsequenzen für Hernández, "schwer auszuloten und mühsam nachzuvollziehen," als die Jury unkorrekt angewiesen wurde, "zu erwägen, ob die kubanischen Jagdflugzeuge richtigerweise die Cessna-Kleinflugzeuge als ‚Militärflugzeuge' nach ICAO-Standard identifiziert hätten, und wenn ja, ob die BTTR-Flugzeuge tatsächlich als ‚letzter Ausweg' abgeschossen wurden ... " [3] Das war eine weit entfernte Angelegenheit und völlig irrelevant für die aktuelle Verschwörungsanklage gegen Hernández.

Hinter dem Spiegel [Anspielung auf "Alice im Wunderland" von Lewis Carrol]

Auf den ersten Blick macht ein Abschuss außerhalb kubanischen Luftraums überhaupt keinen logischen Sinn. Kuba war sicherlich über die ständigen Verletzungen seines Luftraums durch die BTTRs verärgert - einer der interessantesten Teile der Berufung ist der Anhang, der einen Untersuchungsbericht der ICAO enthält, ein Dokument, das bis heute nie öffentlich gemacht wurde (ICAO Report Part 1, Part 2). BTTR-Flugzeuge röhrten sechs Monate vor den Abschüssen "in Dachhöhe" durch die Innenstadt von Havanna und warfen Flugblätter und religiöse Medaillen aus den Fenstern, etwas, was genauso gefährlich wie illegal ist, nicht nur in Kuba, sondern überall. Die Flugzeuge hatten ungewöhnlichen Zugang auf die US-Marinebasis von Guantánamo, und nutzen ihn, um "bei der Gelegenheit" über jedes kubanische Gebiet zu fliegen, auf das sie gerade Lust hatten. Kubas Recht, sich gegen derartige Luftraumverletzungen zu verteidigen, ist unbezweifelbar.
Aber ein Abschuss außerhalb des kubanischen Luftraums würde, und hat, die internationale Verurteilung Kubas nach sich gezogen, die Tür für die Beschlagnahmung kubanischer Vermögen, die seit 1961 eingefroren waren, geöffnet, und, am zerstörerischten, den Anstoß gegeben, die US-Blockade Kubas in Stein zu meißeln, und zwar durch das Anti-Kuba-Gesetz, bekannt unter dem Namen Helms-Burton, das Mitte der 1990er durch den Kongress geisterte. Vor dem Abschuss hatte Clinton gedroht, sein Veto einzulegen, sollte es durch irgendein Wunder verabschiedet werden. Nach dem Abschuss wurde es problemlos verabschiedet. Es mag etwas wenig sein gegenüber der Konfrontation, die sich Basulto wünschte, der bekennende Terrorist, der ständig einen neuen Versuch in der Schweinebucht verlangte und immer noch fragt, warum US-Jagdflieger am 24. [Februar 1996] zu keinem Gegenschlag ausgeholt hätten, aber Helms-Burton war allein schon zerstörerisch genug.
Bei Hernández' Verfahren war der Ort des Abschusses überhaupt nicht die Frage, und die Regierung konnte sich in jedem Fall einfach auf die Entscheidung des Sicherheitsrats berufen. Um Hernández zu verurteilen, hätte die Regierung beweisen müssen, dass es einen illegalen Plan gab, BTTR-Flugzeuge in internationalem, nicht kubanischem, Luftraum abzuschießen, dass Hernández von dem Plan gewusst und zugestimmt habe, ihn zu unterstützen. Das konnte sie nicht.

Es hängt davon ab, was die Bedeutung von "oder" ist.

Um dem Widerspruch zu entgehen, gegen alle Vernunft zu glauben, dass Kuba bewusst geplant habe, BTTR-Flugzeuge nicht in kubanischem sondern in internationalem Luftraum abzuschießen, präsentierte die Regierung das strapazierte Argument, was Kuba tatsächlich an den Luftinvasionen der BTTRs geärgert habe, seien weder die gefährlichen Tiefflüge nach Cowboyart, noch Basultos Störungen von Radiofrequenzen, die von kommerziellen Luftlinien in Kubas Luftkorridor genutzt werden, und zwar mit unvorbereiteten Ansprachen über sein Recht, als "freier Kubaner" jeden gesperrten Luftraum zu verletzen.
Laut der US-Regierung wollte Kuba in Wahrheit durch die in internationalem Luftraum geplanten Abschüsse BTTR daran hindern Flugblätter gerade außerhalb des kubanischen Luftraums abzuwerfen, die dann durch Windströmungen an die Küste getragen werden könnten. Der ICAO-Bericht zeigte deutlich, dass die Flugblätter tatsächlich in kubanischem Luftraum abgeworfen worden waren, und Basulto selbst hat im Radio von Miami gesagt, er habe sie innerhalb des kubanischen Luftraums abgeworfen, aber plötzlich war das alles vergessen (und nie von der Verteidigung widerlegt).
Schließlich, mit einem Argument, das möglicherweise nur von Juristen angeführt wird, weist die Regierung auf eine "angebliche Botschaft, in der die Agenten, die BTTR infiltriert haben, gebeten werden, jede geplante ‚Flugblattabwurfmission oder jedes Eindringen in den kubanischen Luftraum' zu melden", hin. (Hervorhebung hinzugefügt)
Anwälte der Regierung deuteten das Wort "oder" als "Beweis dafür, dass der kubanische Plan eine Konfrontation in internationalem Luftraum einschloss, um das Abwerfen von Flugblättern zu unterbinden". [4]
Das war ein außergewöhnlich technisches juristisches Argument, aber soweit es Hernández betrifft, gab es immer noch absolut keinen Hinweis darauf, dass er irgendeine Insiderinformation über einen Abschuss hatte, weder innerhalb noch außerhalb des kubanischen Luftraums.

"Eine Konfrontation bedeutet nicht notwendigerweise einen Abschuss."

In ihrem Dissens, weist Richterin Kravitch darauf hin, dass die verschlüsselte Botschaft der Regierung bestenfalls beweise, dass Hernández (genau wie jeder andere, einschließlich BTTR) wusste, dass es irgendeine Art von "Konfrontation" geben könnte.
Sie fügte hinzu: "Eine Konfrontation bedeutet nicht notwendigerweise einen Abschuss." Der Hinweis darauf, dass die BTTR selbst nicht mehr als eine Konfrontation, die in einer möglichen erzwungenen Landung enden könnte, erwartet hatten, findet sich in einem selbstgemachten Video, das sie in voller Absicht am 24. Februar in ihrem Hauptquartier zurückgelassen hatten. Darin sagen die Flugteilnehmer, dass sie wütend blinzeln würden, oder versuchen nicht zu blinzeln als eine Art verschlüsselte Botschaft nach Miami, wenn sie gezwungen würden, sich im kubanischen Fernsehen, schuldig zu bekennen.
Kravitch erklärt weiter: "Es reicht nicht für die Regierung, lediglig zu beweisen, dass ein Abschuss in internationalem Luftraum stattfand, die Regierung muss über jeden Zweifel erhaben beweisen, dass Hernández einem Abschuss in internationalem Luftraum zugestimmt habe. Obwohl eine solche Übereinkunft durch einen Indizienbeweis bewiesen werden könnte, hat die Regierung es hier versäumt, sowohl einen direkten noch einen Indizienbeweis dafür zu liefern, dass Hernández einem Abschuss in internationalem Luftraum zugestimmt hat. Stattdessen deutet die Beweislage auf eine Konfrontation in kubanischem Luftraum hin, was gegen das Erfordernis [für die Mordanklage] spricht, dass er einem gesetzwidrigen Akt zugestimmt hat.
... aus der Tatsache, dass die abgefangene Kommunikation nach dem Abschuss zeigt, dass Hernández für seine Rolle gratuliert wurde und er sich für seine Mitwirkung bedankte und sie einen ‚Erfolg' nannte, lässt sich nicht eindeutig schließen, er habe einem Abschuss in internationalem Luftraum zugestimmt. Die Regierung kann auf keinen einzigen Hinweis verweisen, der zeigt, dass Hernández einem Abschuss in internationalem statt kubanischem Luftraum zugestimmt habe."
Hernández hat immer wieder behauptet, dass die verschlüsselte Botschaft, die er nach dem 24. Februar verschickt hat und in der es heißt "die Operation, zu der wir ein Körnchen Salz beigetragen haben, endete erfolgreich" [5] habe sich nicht auf die Operation, die BTTR-Flugzeuge aufzubringen, sondern eine völlig andere bezogen, nämlich der Rückkehr eines anderen Agenten nach Kuba. Er sagt, die Regierung habe über den beiden Operationen absichtlich "eine Wolke ... der Verwirrung" geschaffen, um diese eine Botschaft gegen ihn zu verwenden. Während McKenna sich versessen mit dem Abschussort beschäftigte, versäumte er es, dem zynischen Missbrauch der Botschaft durch die Regierung zu widersprechen oder diesen zurückzuweisen.
Selbst wenn man die Fehleinschätzung der einen Botschaft durch die Regierung akzeptierte, erklärte Kravitch, sei das immer noch nicht ausreichend für eine Verurteilung - hätte Hernández tatsächlich den Abschuss eines feindlichen Flugzeugs als "Erfolg" bezeichnet, bedeute das noch immer nicht, er habe einem Plan zugestimmt, es in internationalem statt kubanischem Luftraum abzuschießen.

Richard Geres kubanischer Doppelgänger

Der Agent aus der Botschaft vom "Körnchen Salz" [6] war Juan Pablo Roque, eine faszinierende Persönlichkeit in dem Fall. Oft als jemand bezeichnet, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Richard Gere besäße, schnorchelte Roque zur US-Basis bei Guantánamo und befand sich schon bald in Miami, wo er mit dem Märchen, er sei kubanischer Militärpilot, der nicht mehr fliegen dürfe und deswegen desillusioniert sei, das Herz von Basulto und seinem Clan gewann.
Die Cuban American National Foundation (CANF) unterstützte sogar eine großangelegte Presseveröffentlichung seiner Memoiren, während Roque heimlich eine Nebenbeschäftigung für das FBI ausübte und Informationen über die verdeckten, weniger appetitlichen Aktivitäten der BTTR im Drogenhandel und die Pläne zum Waffenhandel lieferte.
Aber schon bald, nachdem er Miami erreicht hatte, litt er unter unerträglichem Heimweh und bat darum, zurückgebracht zu werden. Hernández bekam die Aufgabe, den "Rücküberlauf" des Überläufers zu arrangieren. Die "Operation Venezia" wurde als Gelegenheit geplant, Roque zurück nach Kuba zu bringen und gleichzeitig die Geheiminformationen, die er gesammelt hatte, in einer Pressekonferenz, auf der er die selben Informationen offen legt, die er dem FBI gegeben hatte, groß herauszubringen.
Ein streng geheimes kubanisches Dokument, das in der Berufung enthalten ist, bekräftigt, dass diese Anprangerung der Hauptantrieb hinter der Operation Venezia war, und dass Roques Rückkehr vom kubanischen Hauptquartier des Geheimdienstes "entweder für Ende Februar oder Anfang März 1996" [7] bewilligt worden sei, je nach dem, wann kommerzielle Flüge verfügbar seien.
Zur Zeit des Verfahrens wurde viel Aufhebens davon gemacht, dass Roque am 23. Februar abgehauen war und entweder am Tag des Abschusses oder einen Tag später in Kuba ankam. Aber die Zeitwahl war zufällig und lag hauptsächlich daran, dass Roque unbedingt rechtzeitig zum Geburtstag seines Sohnes am 26. zurück sein wollte. Außerdem steht der Abschuss am 24. nachweislich im Widerspruch zu den Zielen der Operation Venezia. Obwohl Roque am 27. bei Lucia Newman von CNN erschien und am 3. März der kubanischen Zeitung Juventud Rebelde ein Interview gab, immer noch verdeckt, um die in Miami verbliebenen Agenten zu schützen, überschattete der Tsunami an negativer Presse wegen des Abschusses gewaltig die negativen Informationen über die BTTR, die er in seinem Interview offen legte.

Zu wenig zu spät

Gegen Ende des Verfahrens schien Hernández' Verteidiger begriffen zu haben, dass er eine falsche Spur verfolgte. Nach sechs langen Monaten der mühsamsten Anstrengungen, die Jury davon zu überzeugen, dass der Ort des Abschusses fälschlich bestimmt worden sei, änderte er plötzlich seinen Kurs und erzählte der Jury, dass alle Beweismittel, die er ihnen in den vergangenen sechs Monaten vorgelegt habe, irrelevant seien. Das machte ihn und seinen Klienten sicherlich nicht gerade beliebt bei den Geschworenen, die um ihr Leben bangten.
Entscheidend, sagte er, sei, dass die Regierung nicht beweisen könne, dass Hernández überhaupt etwas von einem Plan für einen illegalen Abschuss gewusst habe. Aber es war zu spät. Der Schaden war bereits angerichtet.
Die Berufung besagt, man müsse McKenna "zugutehalten", dass er seine Fehler im ursprünglichen Verfahren zugebe und zugestimmt habe, in der Anhörung zum Habeas Corpus auszusagen, um Beweise dafür zu liefern, dass Hernández ein neues Verfahren erhalten sollte.
Die Beweisanhörung wird wahrscheinlich stattfinden, nachdem alle Eingaben zu dem Fall eingereicht sind, irgendwann zwischen März und Juni diesen Jahres, obwohl laut Weinglass es immer noch unbekannt ist, ob Richterin Lenard dem Fall vorsitzen wird und selbst die Anhörung leitet, oder ihn an einen Magistrat delegiert, wie es häufig in Miami vorkommt.

Eine unsichtbare Kraft

Inzwischen ist Hernández in der trostlosen Wüste Kaliforniens immer noch ein aktiver Anwalt seines eigenen Falles und des der anderen Vier. Dies führt zuweilen zu sonderbaren Ressentiments seiner Mitgefangenen. "Du bekommst zuviel Post," wird ihm gesagt, und in der verschrobenen Logik des Bundesgefängnissystems besteht die Lösung darin, seine Post so lange unter Verschluss zu halten bis sie in eine Lawine ausartet. Er erleidet immer noch außergerichtliche Strafen, wie seit 13 Jahren die Verweigerung eines Visums für seine Ehefrau. Ihm wird der Zugriff auf E-Mails verweigert, im Gegensatz zu harten, erwiesenermaßen gewalttätigen Verbrechern, die in der selben Einrichtung eingesperrt sind. Letzten Sommer wurde er plötzlich aus unerklärlichen Gründen in das "Loch" des Gefängnisses gesteckt und einige Wochen später, nach einem internationalen Aufschrei, wieder hinaus gelassen.
Unabhängig davon, ob Hernández letztlich sein Recht auf einen rechtsstaatlichen Prozess durch ein neues Verfahren gewährt wird, bewahrt er sich einen ungeschmälerten Optimismus, vermischt mit Realismus. Zu den zahlreichen Anstrengungen, seine Freiheit zu erreichen sagt er: "Es ist wie Wasser auf einem Felsen." Und auch der härteste Felsen gibt mit der Zeit den Weg frei.

Ich möchte mich bei Nelson Valdés, Manuel Cedeño Berrueta und Manuel Talens für ihre Hilfe bei der Vorbereitung und Übersetzung dieses Berichts bedanken.

Fußnoten:
[1] Gerardo Hernández, Movant, vs. United States of America, Respondent - Memorandum in Support of Motion to Vacate, Set Aside, or Correct Judgment and Sentence under 28 U.SC. § 2255, S. 79
[2] ebenda, S. 19
[3] ebenda, S. 37
[4] ebenda, S. 31
[5] ebenda, S. 83
[6] "Körnchen Salz" ist wahrscheinlich eine Fehlübersetzung der original in Spanisch verfassten Botschaft von Hernández. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Hernández "granito de sal" statt "granito de arena" geschrieben haben soll. Das Transkript des in Spanisch geführten Interviews von Saul Landau mit Hernández bestätigt das.
[7] Ibid, Appendix B

Deutsch: ¡Basta Ya! (jmb, db)

(Quelle: freethefive.org vom 19. Januar 2011. Dort finden Sie auch einige interessante Fotos zu dem Artikel.

Lesen Sie dazu bitte auch das Interview mit Leonard Weinglass vom 21. 09. 2010.

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